Party like it’s 1651

[Mych] „Da seid ihr ja gleich am tiefen Ende eingestiegen“, sagt Tom mit einem halben Grinsen.

Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während ich an meinem Tee nippe. Jen, die junge blonde Frau mit Uni-Warwick-Pulli, hatte uns erklärt, was passieren würde: zuerst ein bisschen tanzen, dann Pause und Tee trinken, und dann noch ein bisschen mehr tanzen. Dass der Saal kaum geheizt ist, fiel uns nur am Anfang auf. „Smashing!“, wie Jen sagen würde.

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Ich hatte nicht so recht gewusst, worauf wir uns heute Abend einlassen würden. Wir waren in erster Linie wegen der Musik auf die Idee gekommen, hierher zu gehen: Blast from the Past spielt auf. Die hatten wir zuletzt im Sommer in Kenilworth Castle gesehen, während im Hintergrund Apotheker vor ihrem Zelt ihre pharmazeutischen Pülverchen und Tränke feil boten, Ritter mit langen Lanzen gegeneinander ritten und Gaukler das Fußvolk bespaßten. Heute Abend sitzen Chris und Sophie mit ihren Instrumenten in normalen Klamotten auf dem kleinen Podest am Ende des Saals und haben sich einen Fiedler als Verstärkung geholt.

Coventry Zesty Playford hat Jen ihre Veranstaltung genannt – nicht irgendein Playford, sondern eins voller Leben und Begeisterung. Und, schreibt sie auf ihrer Website mit Stolz: immer mit Live-Musik. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die £9 Eintritt pro Person überhaupt reichen, um die Band zu bezahlen. Aber auch die machen den Eindruck, als ob sie nicht nur wegen des Gelds hier sind.

Ein ‚Playford‘, erklärt Jen auf ihrer Website, ist „so ähnlich wie ein Ceilidh“ (gesprochen: ‚Key-Lie‘). John Playford hatte vor mehr als dreihundert Jahren ein Kompendium von Gesellschaftstänzen herausgegeben – über neunhundert Tanzbeschreibungen samt Melodien. Von Paartänzen ohne Partnerwechsel wusste damals noch niemand etwas; die kamen erst Ende des 18. Jahrhunderts in Mode. Früher tanzte man als Gruppe.

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Die Teepause ist um. Ed, der junge Mann mit dem rötlichen Vollbart im Zylinderhut, ruft uns Tänzer wieder in Formation. Es ist typisch für ein Ceilidh, dass ein Ausrufer die Tänzer durch die Schritte und Figuren des nächsten Tanzes führt, bevor die Musik losgeht. „Gebt euch zu viert die Hände“, weist er an, und wir tun das mit unserem Nachbarpaar. Wir müssen wissen, wer die ‚Ones‘ und wer die ‚Twos‘ sind – das erste und das zweite Paar des Vierergrüppchens. Am Ende jeder Runde werden sich die ‚Ones‘ eine Position weiter nach rechts bewegt haben und die ‚Twos‘ eine weiter nach links. Wenn ein ‚One‘-Paar am Ende der Reihe ankommt, wird es zum ‚Two‘-Paar und umgekehrt.

Judith und ich sind nicht die einzigen Neulinge im Saal – und Judith kann wenigstens klassisch tanzen, ganz im Gegensatz zu mir. Zum Glück kann ich mich erstmal darauf konzentrieren, die richtigen Figuren in der richtigen Reihenfolge zu machen. Und da wir zu viert oder zu sechst tanzen, ist fast immer jemand dabei, der weiß, wo’s als Nächstes hingeht.

Bei den doppelten Achtern fallen Judith und ich trotzdem aus der Formation. „Geht einfach durch die Lücke zwischen euren Gegenübern“, sagt Tom im Vorbeitanzen, aber bei dieser Figur sind alle Leute ständig in Bewegung; diese Lücken müssen virtuell sein. Naja, wie Tom ja auch schon gesagt hatte: Playford ist nicht gerade der einfachste Anfang für einen Neuling – wir sind am tiefen Ende eingestiegen.

Für den allerletzten Tanz bleiben Judith und ich am Rand sitzen. Drei Stunden hin- und her springen, sich drehen und sich gegenseitig an den Händen herumwirbeln (minus eine Viertelstunde für Tee) ist ein ganz schöner Workout.

Maureen spricht uns an, als sich nach dem finalen Applaus für die Band die Veranstaltung langsam auflöst: Wir hätten uns wacker geschlagen, und wir sollen auf jeden Fall weiter machen und uns nicht dadurch verunsichern lassen, dass wir vielleicht nicht alles auf Anhieb richtig gemacht hätten. Blast of the Past hat heute Abend offenbar ein eher ungewöhnlich flottes Tempo vorgelegt. Sie holt ihr Handy und schreibt uns eine Telefonnummer einer Bekannten auf, die auch gelegentlich Abende wie diesen veranstaltet, und wir sollen unbedingt dort anrufen und sagen, dass sie uns schickt.

Und sie ist nicht die Erste: Schon in der Pause hatte der Herr mittleren Alters mit dem „Party like it’s 1651“-T-Shirt Judith angesprochen und uns erzählt, dass er Anfang März ein Ceilidh mit einfacheren und anfängerfreundlicheren Tänzen veranstaltet und ob wir nicht kommen wollen (aber da sind wir schon für ein Mittelaltermahl in Coombe Abbey verplant). Und während ich gerade bei der Taxizentrale anrufe, sehe ich, wie eine Dame mittleren Alters an Judith herantritt und ihr sagt, wie sehr sie sich freut, dass wir da waren und dass wir unbedingt wiederkommen sollen.

Ich glaube, das werden wir.

Party like it’s 1651