Bijou, 15. März 2003 — 21. September 2014

[Mych] Zu wissen, dass es kommen wird, macht es nicht leichter, es zu ertragen.

Gestern Morgen wollte Bijou Judith wie üblich beinahe noch ihre (oder, wie er sicher dachte, seine) Frühstücksbanane aus der Hand reißen.

Bijou in Judiths Armen auf der Couch vor anderthalb Wochen

Gestern Abend fiel uns auf, dass er ein wenig angeschlagen wirkte; heute Morgen hörten wir, wie er angestrengt atmete. Der Arzt in der Notfallklinik diagnostizierte ein Problem in der Lunge und ertastete einen empfindlichen Punkt nahe Bijous Leber. Wir hätten ihn 24 Stunden alleine in der Klinik lassen können, und falls er das überlebt hätte, hätten wir vielleicht gewusst, ob man das behandeln könnte. Oder wir hätten ihn nach Hause nehmen können, 24 Stunden selbst zwangsernähren und mit Medikamenten versorgen können — ohne einen klaren Plan, was danach geschehen sollte.

Man gab uns so viel Zeit, wie wir brauchten, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Am Ende unterschrieben wir einen Zettel, Judith nahm Bijou in den Arm, und der Arzt injizierte eine Überdosis Betäubungsmittel durch die Kanüle in seinem Bein. Es dauerte nur wenige Sekunden.

Bijou schlief in Judiths Armen ein. Wir blieben noch lange Zeit bei ihm und nahmen Abschied.

Tschüß, Bijou. Du hast unser Leben berührt, und wir vermissen dich. Aber jede Erinnerung an dich wird uns Freude bringen.

Bijou, 15. März 2003 — 21. September 2014

Kettengang

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[Maus] Es war stressig in der letzten Zeit. Ich schlug mich mit allerlei Problemchen im Labor herum und merkte, wie mich die Arbeit auslaugte. Nicht zuletzt lag das an einem nervenaufreibenden Studenten, der mich mit seiner Unruhe und fehlender Ernsthaftigkeit um den Verstand brachte.

Endlich war es Zeit für einen Urlaub. Unsere Idee ist es, Großbritannien zu erkunden, während wir hier sind, und so sollte unser erster Urlaub uns irgendwo hin auf unserer Insel führen. Unser gemeinsames Hobby — Geocaching — sollte zufällig unseren Zielort bestimmen: Fife. Fife liegt in Schottland in der Nähe von Edinburgh und hat eine wunderschöne wilde Küste mit Sandstränden.

Doch wie kam es eigentlich dazu?

Vor nicht allzu langer Zeit beschlossen wir, wieder mehr spannende Geocaching-Abenteuer zu erleben. Da in der näheren Umgebung aber in dieser Hinsicht gähnende Langeweile herrscht, hat Michael nach 5/5er-Geocaches gesucht — also Geocaches mit der höchsten Terrain- und Schwierigkeitswertung. In Deutschland sind die rar und so schwierig, dass man sie nur mit viel Equipment und häufig mit sehr viel Rätselei angehen kann.

Also genau das Richtige, um ein Abenteuer zu erleben.

Michael stieß jedenfalls bei seiner Suche auf einen Earthcache in Fife, bei dem schon der Name äußerst interessant klang: Volcanic Mayhem — Kincraig Point. Und die Fotos erst! Wir waren uns sofort einig, dass wir da hin wollen. Unser geplanter Urlaub hatte noch kein Ziel, also beschlossen wir spontan, nach Fife zu fahren.

Nachdem wir auf dem Weg nach Fife und in Fife selbst schon viele schöne Orte besucht hatten, konnten wir es kaum noch erwarten, endlich diesen Earthcache aufzusuchen. Earthcaches sind eine Besonderheit beim Geocachen: Man findet keine Box mit einem Logbuch, sondern einen geologischen Schatz. Der Küstenbereich bei Kincraig Point war im Karbon durch vulkanische Aktivität entstanden. Während der Flut ist dieser Bereich unzugänglich und bei Ebbe erreicht man ihn nur über einen sogenannten Chainwalk — sowas wie einen Klettersteig mit Ketten zum Festhalten.

Schon auf dem Weg dorthin fanden wir am Strand riesige schwarze poröse Steine vulkanischen Ursprungs.

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Es war sehr windig und ich hatte Muffensausen, aber da wir beide Sicherheitsfanatiker sind (oder wie Michael mal so schön zu mir sagte: „Wir brauchen deinen Kopf noch!“), hatten wir Helme, Klettersteigsets, festes Schuhwerk und Handschuhe dabei. Nachdem wir unser Equipment angelegt hatten, stürzte sich Michael als erster ins Vergnügen. (Er ist der Mutigere von uns beiden.)

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Auf glitschigem Gestein und an der Kette hängend war mir auf dem ersten Teilstück noch mulmig zumute, aber bald schon vergaß ich meine Angst, mir den Schädel zu zertrümmern oder unterzugehen (durch das Klettersteigset und den Helm war das quasi unmöglich) und genoss diese einmalige Landschaft. Die Gezeiten nagen an den Felsformationen, und das poröse Vulkangestein hat dem nichts entgegenzusetzen.

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Man fühlt sich wie auf einem anderen Planeten. Die Gischt spritzt unter einem hoch und der Wind zerrt an dir. Es riecht herrlich nach Meer und trotz dem das Meer tost und rauscht, fühlt sich alles so ruhig an. Unwirklich.

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Der Devil’s Tower (Teufelsturm) beeindruckt durch seine schiere Größe. Als hätte jemand gigantische Säulen am Strand aufgestellt. Ursprünglich müssen die Gesteinsschichten horizontal gelegen haben; im Laufe der Jahrmillionen wurden die Säulen durch Faltung aufgerichtet.

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Michael war in seiner Faszination für diese Landschaft gefangen und bemerkte nicht einmal, dass wir längst am Ende des Chainwalks angekommen waren. Ich konnte ihn gerade noch aufhalten, einen Satz über die nächste Kluft zu machen.

Wir hatten uns ein Abenteuer erhofft und es bekommen.

Kettengang