Weihnachtsimport

[Mych] In Birmingham gibt’s einen Weihnachtsimport aus Deutschland: den – räusper – Birminghamer Frankfurter Weihnachtsmarkt.

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Was der Birminghamer Frankfurter Weihnachtsmarkt dem Frankfurter Frankfurter Weihnachtsmarkt voraus hat:

  • Bierausschank in großem Stil. Engländer liiieben ihr Bier. Dazu passend: haufenweise Weihnachtsmarktbesucher mit Bierglas statt Glühweinbecher in der Hand.
  • Musikanten, die sich keinen Deut darum scheren, dass Weihnachten ist. (Oder sein soll.)
  • Ein Riesenrad. (Kein sehr riesiges, aber trotzdem.)
  • Rentier-Burger, Straußen-Burger (mehrere Stände!) und asiatische Nudelsuppe.

Was der Birminghamer Frankfurter Weihnachtsmarkt nicht hat:

  • Raclette und Käsefondue. (Das macht mich sehr, sehr traurig.)
  • Einen Weihnachtsbaum.
  • Kunsthandwerk in nennenswertem Maße. (Es gibt aber sehr wohl einen dedizierten Kunsthandwerksmarkt auf dem Weihnachtsmarkt. Da wird, hmm, kunstvoller Tinnef verkauft? Und kunstvoller Cider.)
  • Gar zu viel deutsches Personal in den (durchgehend deutsch beschrifteten) Fressständen. Die sind wohl alle auf den buchstäblich tausenden Weihnachtsmärkten in Deutschland. England bekommt statt dessen die Rumänen.
  • Schnee. Oder wenigstens kühle Temperaturen.

Was beide haben:

  • Original Frankfurter Bratwurst, in Einheiten von halben Metern (alias „1.64 feet“) verkauft.
  • Glühwein! Immerhin. Und gebrannte Mandeln, und Crêpes, und Mohrenk… – sorry, Schokoküsse (die hier in England als „Marshmallows“ verkauft werden).
  • Ein Karussell. Das macht wahrscheinlich den Frankfurt-Aspekt aus.
  • Tinnef in allen Preisklassen.

Was beide nicht haben:

  • Platz zum Umfallen. (Sogar schon um 11 Uhr morgens.)

(Danke an John James, unbekannterweise, für das Foto; Beschnitt von mir.)

Weihnachtsimport

Don’t cross the streams!

[Maus] Eine Frage, die mir lange im Kopf herumschwirrte, konnte ich dank eines YouTube-Videos klären: Warum benutzen die Briten separate Heiß- und Kaltwasserhähne?

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Diese Wasserhähne sind schon recht nervig. Man muss sich jedesmal beim Händewaschen entscheiden, ob man sich die Hände verbrühen oder lieber mit kaltem Wasser waschen möchte. Ich liebe lauwarm, aber das ist hier nur mit unserer PowerShower zu bekommen. Mischbatterien sieht man höchst selten und wir grübelten ein ums andere Mal, warum die Briten es sich so schwer machen.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=HfHgUu_8KgA?feature=player_detailpage&w=640&h=360]

In dem YouTube-Video wird (in Englisch) erklärt, was der Grund für die getrennten Hähne ist: In vielen Häusern, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, gibt es auf dem Dachboden einen Kaltwassertank. Dieser speist einen Heißwassertank. Das heiße Wasser aus diesem Tank ist kein Trinkwasser! Dadurch, das es sich über längere Zeit im Kaltwassertank befindet, ist die Wasserqualität entsprechend schlecht. Das Kaltwasser dagegen kommt direkt aus der Hauptleitung und ist trinkbar.

Wenn man nun eine Mischbatterie einbauen würde, bestünde die Gefahr, dass das „kontaminierte“ Heißwasser sich mit dem trinkbaren Kaltwasser mischt und im schlimmsten Fall in die Hauptleitung zurückfließt und das Trinkwasser eines gesamten Straßenzuges verunreinigt.

Und deshalb kreuzt man niemals die Ströme!

Don’t cross the streams!

Fettlebe

[Mych] „Ich seh überhaupt keinen Unterschied“, beschwert sich Judith nach einem Blick in den Spiegel – und stellt ihren Gürtel um ein Loch enger, weil sonst die Hose nicht hält. In der Küche stehen die Reste unseres gestrigen Abendessens: Broccoli mit ordentlich Käse überbacken – mjamm.

Heute bin ich schlank, aber das war nicht immer so. Irgendwann in meinen späten Zwanzigern (vor ungefähr zehn Jahren) stellte ich eines Tages fest, dass die traditionelle allweihnachtliche Gewichtszunahme sich bis Ende September immer noch nicht wieder gegeben hatte: Ich war drauf und dran, den Weg zum schmerbäuchigen Mittdreißiger einzuschlagen.

„Fett reduzieren!“, suggerierten die Regale im Supermarkt. Ich setzte mir ein tägliches Fett-Limit – 30 Gramm, inklusive der „versteckten Fette“, die man nur auf der Nährwerttabelle findet –, und hielt das ungefähr ein Jahr lang ziemlich konsequent durch. Und es wirkte! Als pummeliger Endzwanziger hatte ich 85 Kilogramm gewogen – das entspricht einem Body-Mass-Index (BMI) von 26,5 bei meiner Größe, klassifiziert als „leicht übergewichtig“ –, und jetzt ich hatte mein BMI-Ziel von 22,5 erreicht, mitten im Normalgewichtbereich: 72 Kilogramm. Keine Pausbäckchen mehr, und kein Grund mehr, nur in Schlabber-T-Shirts und weiten Pullis rumzulaufen.

Was ich dabei gelernt hatte:

  • Mein Körpergewicht kann von einem Tag auf den nächsten um mehr als 1-2 Kilogramm schwanken – in beide Richtungen. Das ist normal.
  • Je mehr ich „drin“ war, desto mehr verschwand das ständige Hunger- oder Appetitgefühl. Am unangenehmsten waren (nach einem Tag der Schwäche) immer die ersten ein bis zwei Tage, dann ging’s wieder gut.
  • Sich mit dem Aussehen seines Körpers wieder wohl zu fühlen wirkt Wunder.

Oh, und:

  • Fett reduzieren ist Blödsinn.

Was bei mir gewirkt hatte, war, dass ich weniger zu mir nahm, weil ich darauf achtete, was ich aß.

Vor ein paar Monaten kratzte die Waage bei Judith und mir (nach einer Woche English Breakfast) wieder an Höchstgewichten, die wir beide eigentlich nie mehr hatten erreichen wollen.

Und dann entdeckten Judith und ich Keto.

Die Keto-Diät ist kontraintuitiv für jemanden, der in deutschen (oder englischen) Supermärkten kultiviert wird: Nicht Fett ist böse, sondern Kohlenhydrate – nicht mehr als 25–50 Gramm davon pro Tag. Das zwingt den Körper innerhalb von ein paar Tagen dazu, nicht mehr haufenweise Insulin auszuschütten, um Zucker zu verbrennen, sondern in den Ketose-Modus umzuschalten und aus Fett Energie zu gewinnen. Und zwar nicht nur aus dem Fett im Essen, sondern auch dem bereits eingelagerten.

Also eigentlich ganz simpel: Wenn meine Kalorien nicht aus Kohlenhydraten – Brot, Nudeln, Reis, Zucker – kommen dürfen, dann muss ich sie mir in Form von Fett (oder Eiweiß) zuführen. Zu viel Eiweiß ist auch keine gute Idee, weil der Körper das in Zucker umwandeln kann; also: hauptsächlich Fett. Webseiten wie der Keto Calculator (englisch) helfen dabei, auszurechnen, wieviel Fett und Eiweiß man zu sich nehmen muss, um entweder sein Gewicht zu halten oder abzunehmen – inklusive eines hübschen Graphen mit Gewichtsprognose.

Judith und ich machen das jetzt seit einigen Wochen, und …

  • Es funktioniert tatsächlich. Judith hat ihr Nahziel schon erreicht (will aber noch tiefer gehen – ungefähr zum gleichen BMI wie ich; sie wiegt schon jetzt weniger als ich, aber sie ist auch eine Handbreit kleiner). Bei mir zeigte die Waage heute Morgen 72,1 kg an – hundert Gramm über dem Ziel.
  • Es ist lecker! Wir lieben Käse. Und Fleisch. Und Bacon. Und wir haben kürzlich mal fritierte Avocado in einer Panade aus Mandelmehl und Parmesan zusammen mit ebenfalls fritiertem Halloumi gegessen. Mmmh. Auf Brot und Kartoffeln und Nudeln verzichtet es sich erstaunlich leicht, sogar im Urlaub.
  • Wir haben kaum Hunger. Das heißt nicht, dass wir unser Essen nicht genießen können – vielleicht sogar um so mehr. Und wir fühlen uns fit dabei. (Wir haben dieser Tage eher das Problem, dass wir beim Zusammenrechnen am Abend feststellen, dass wir eigentlich noch was essen müssten, um nicht zu wenig gegessen zu haben – wer zu wenig isst, baut Muskeleiweiß ab, und das wäre ja auch doof.)

In /r/keto auf Reddit posten jeden Tag ein halbes Dutzend Leute Vergleichsbilder von sich selbst mit dem Etikett „[SV]“ (für „scale victory“ – ein Sieg auf der, oder über die, Waage) – oder erzählen darüber, wie erstaunlich leicht ihnen diese Diät fällt; oder wie sie sich gefühlt haben, als ihnen am Morgen zum ersten Mal in ihrem Leben jemand sagte, dass sie schlank seien.

Wer leckere Rezepte sucht, findet die in /r/ketorecipes (Suppen, Gratins, Fleischgerichte, kreative Nudelsubstitute als Träger für die leckere, schon an sich ketokompatible Carbonara oder Bolognese).

Fettlebe

Heimkehr

[Mych] Es ist Dienstag, der 4. November, 3 Uhr morgens — gestern war mein Geburtstag. Auf dem Fußabtreter hinter der Haustür liegt der erwartete Berg an Post, die sich im Laufe der letzten drei Wochen angesammelt hat.

Drei Wochen Ausnahmezustand.

Freitag, 31. Oktober, nachmittags. Meine Mutter fährt mit uns zum Pflegeheim. Wir haben den Vormittag und den Tag davor damit verbracht, ihr Zimmer dort ein bisschen wohnlicher einzurichten — ein paar hübsche, kleinere Möbel noch aus der Japan-Zeit meiner Eltern; ihr Fernseher; ihre neue Couch.

Es ist uns allen bewusst, dass dies der einzige Weg ist. In dem großen Haus kann sie nicht alleine bleiben. Sie fühlt sich gefangen dort, sagt sie, und das ist nachvollziehbar: Mehrere Stufen führen zur Haustüre hoch, und den Weg in den Garten versperren mehrere unüberwindliche Schwellen. Das Haus war noch nie rollstuhlgeeignet, und die Rampe vor dem Haus war schon immer nur eine Notlösung.

Auch das Pflegeheim ist nur eine Notlösung. Anfang des Jahres wird sie in betreutes Wohnen umziehen — in eine Eigentumswohnung auf dem gleichen Gelände. Von ihrem Balkon aus wird sie ein bisschen in die Schweiz hinüber sehen können. Anfang nächsten Jahres soll die Wohnung bezugsfertig sein. Noch viel zu tun bis dahin. Immerhin etwas, auf das man sich freuen kann.

Mittwoch, 22. Oktober. Meine Tage bestehen aus Telefonieren und Autofahren. Der Audi meines Vaters ist fast so alt wie das Haus, aber er fährt noch gut. Ich spreche mit dem Anwalt, der Bank, der Immobilienverwaltung.

Judith ist da. Ich bin so froh, dass Judith da ist. Sie kam mit dem ersten Flug, den sie bekommen konnte, nachdem wir an meinem ersten Abend hier vor einer guten Woche telefoniert hatten. Wir hatten meine Mutter aus dem Krankenhaus geholt, in dem sie vom Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes untergebracht worden war, um versorgt zu sein. Unsere kleine WG im Haus meiner Eltern funktioniert recht gut — wir halten zusammen. Wir machen das Beste aus unserer Lage.

Montag, 20. Oktober, früher Nachmittag. Die Leute aus der Gärtnerei haben sich viel Mühe gegeben: Eine schöne, geschmackvolle, schlichte Kombination aus rot melierten Wildrosen und grünen Blattgewächsen ziert den Raum.

Die junge Pfarrerin schreitet durch den Gang und bleibt vorne kurz stehen. Ich habe einen Kloß im Hals. Meine Mutter sitzt neben mir, im Rollstuhl, und hält meine Hand — oder ich ihre. Die Glocke, die draußen vor der Türe minutenlang geschlagen hatte, verklingt langsam. Eine ältere Frau sitzt an der elektrischen Orgel und spielt; schöne, klassische Musik.

Die Pfarrerin erzählt von meinem Vater — das, was wir ihr am Samstag zuvor unsererseits über ihn berichtet hatten: ein zufriedener, ruhiger, bei allen beliebter Mann, dem es immer am wichtigsten war, dass seine Familie gut versorgt war. Der nie ein Wort der Klage hören ließ. Der meine Mutter über Jahre alleine in dem großen Haus versorgte, seit sie ihren Schlaganfall gehabt hatte.

Es sind viele Leute gekommen. Die meisten kenne ich — einige von ihnen sehe ich zum ersten Mal seit langen Jahren. „Tante Heidi“. „Onkel Bernd“. Mein ehemaliger Schulrektor. Alte Freunde der Familie; alte Freunde von meinem Vater.

Sonntag, 12. Oktober, zur Mittagszeit. Judith und ich sind in der Türkei und machen im Mittelmeer unseren ersten Tauchgang.

Im Kreiskrankenhaus Lörrach stirbt mein Vater an den Folgen einer inneren Blutung.

Heimkehr