Unser Brexit – Alles weg

[Maus] Das Haus ist leer. Die Schlüssel sind abgegeben und ein Kapitel wird abgeschlossen. Unsere Abenteuer in Coventry sind zu Ende und nun beginnen unsere Abenteuer in München.

Für mich waren die letzten Tage noch einmal richtig anstrengend. Von Schlaflosigkeit und Sorge, dass alles klappt, geplagt, beginnt der Dienstag für mich in einem halb zusammengepackten Haus. Man kommt kaum irgendwo lang und das Päckchenraten wird immer schwieriger. Die Drei sind sehr optimistisch und meinen, um 12 Uhr wären sie mit allem fertig, aber ich zweifle das an und soll Recht behalten. Zweieinhalb Stunden später werden sie erst fertig. Je länger es dauert, desto hektischer wird verpackt. Ich finde immer wieder Dinge, die noch vergessen wurden und so wird eine Kiste nach der anderen mit nur wenigen Dingen und Bergen von Papier gefüllt. Auch jedes Paar Schuhe wird ordentlich in Packpapier gewickelt. Die gehen beim Transport sicher nicht kaputt.

Ich werde insgesamt auch häufiger gebraucht. 165 Pakete kommen nun ins Lager. Nicht alles wird zu meiner Zufriedenheit erledigt, und als ich unter den strengen Augen der Packer eine Bewertung abgeben soll, bin ich einfach nur noch überfordert. Ich schreibe Zahlen in die Kästchen, ohne Zeit zu haben, darüber nachzudenken. Unsere Pflanzen nehme ich mit zur Arbeit – die hätten den langen Transport nicht überlebt.

Der Mittwoch verläuft dann schon fast wieder normal. Ich gehe zur Arbeit, versuche dort alles ordentlich abzuwickeln, höre von jedem meiner Kollegen zum zwanzigsten Mal, dass ich nicht gehen soll und fahre anschließend zum Haus zurück. Dort treffe ich ein letztes Mal Mary, um ihr die Schlüssel zu geben. Und dann ist es soweit – Abschied von unserem Häuschen. Alle fleißigen Skyper werden vermutlich unsere schönen Vorhänge im Hintergrund vermissen.

Zum Einstimmen auf die neue Heimat verabrede ich mich noch mit Freunden zum Oktoberfest in Coventry. Ich hab ja keine Ahnung, was ich vom Münchner Oktoberfest zu erwarten habe, aber in Coventry habe ich ein kühles Bier, eine ordentliche Brezel und echte Blasmusik bekommen. Das alles in einem Bierzelt, ausgestattet mit Bierzeltgarnituren und blau-weißen Tischdecken.

Oktoberfest

Donnerstag ist dann mein letzter Arbeitstag. Ich bin ein wenig wehmütig, denn die Leute in meiner Firma sind mir doch sehr ans Herz gewachsen. Meine beiden Chefs laden alle zu einem Abendessen ein und Micha lernt noch kurz vor Schluss alle kennen. Es wird ein schöner, lustiger und zugleich trauriger Abend für mich, aber ich freue mich auch auf das was kommt.

Mein Kollege Ed fährt uns noch zu unseren Nachbarn, Martin und Sue, die sich auch noch von uns verabschieden wollen. Es ist Mitternacht, als wir im Hotel die Lichter ausmachen und meine hoffentlich letzte schlaflose Nacht endet um sieben Uhr.

Bei strahlendem Sonnenschein verabschieden wir uns von der Insel und fliegen gen Süden. Unsere Übergangswohnung liegt nur fünf Minuten zu Fuß vom Isartor entfernt und ist mit allem Schnick und Schnack ausgestattet. Wir schauen uns ein wenig in der Innenstadt um, genießen bei 31°C ein erfrischendes Weißbier und werden heute Abend hundemüde ins Bett fallen.

Unser Brexit – Alles weg

Party like it’s 1651

[Mych] „Da seid ihr ja gleich am tiefen Ende eingestiegen“, sagt Tom mit einem halben Grinsen.

Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während ich an meinem Tee nippe. Jen, die junge blonde Frau mit Uni-Warwick-Pulli, hatte uns erklärt, was passieren würde: zuerst ein bisschen tanzen, dann Pause und Tee trinken, und dann noch ein bisschen mehr tanzen. Dass der Saal kaum geheizt ist, fiel uns nur am Anfang auf. „Smashing!“, wie Jen sagen würde.

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Ich hatte nicht so recht gewusst, worauf wir uns heute Abend einlassen würden. Wir waren in erster Linie wegen der Musik auf die Idee gekommen, hierher zu gehen: Blast from the Past spielt auf. Die hatten wir zuletzt im Sommer in Kenilworth Castle gesehen, während im Hintergrund Apotheker vor ihrem Zelt ihre pharmazeutischen Pülverchen und Tränke feil boten, Ritter mit langen Lanzen gegeneinander ritten und Gaukler das Fußvolk bespaßten. Heute Abend sitzen Chris und Sophie mit ihren Instrumenten in normalen Klamotten auf dem kleinen Podest am Ende des Saals und haben sich einen Fiedler als Verstärkung geholt.

Coventry Zesty Playford hat Jen ihre Veranstaltung genannt – nicht irgendein Playford, sondern eins voller Leben und Begeisterung. Und, schreibt sie auf ihrer Website mit Stolz: immer mit Live-Musik. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die £9 Eintritt pro Person überhaupt reichen, um die Band zu bezahlen. Aber auch die machen den Eindruck, als ob sie nicht nur wegen des Gelds hier sind.

Ein ‚Playford‘, erklärt Jen auf ihrer Website, ist „so ähnlich wie ein Ceilidh“ (gesprochen: ‚Key-Lie‘). John Playford hatte vor mehr als dreihundert Jahren ein Kompendium von Gesellschaftstänzen herausgegeben – über neunhundert Tanzbeschreibungen samt Melodien. Von Paartänzen ohne Partnerwechsel wusste damals noch niemand etwas; die kamen erst Ende des 18. Jahrhunderts in Mode. Früher tanzte man als Gruppe.

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Die Teepause ist um. Ed, der junge Mann mit dem rötlichen Vollbart im Zylinderhut, ruft uns Tänzer wieder in Formation. Es ist typisch für ein Ceilidh, dass ein Ausrufer die Tänzer durch die Schritte und Figuren des nächsten Tanzes führt, bevor die Musik losgeht. „Gebt euch zu viert die Hände“, weist er an, und wir tun das mit unserem Nachbarpaar. Wir müssen wissen, wer die ‚Ones‘ und wer die ‚Twos‘ sind – das erste und das zweite Paar des Vierergrüppchens. Am Ende jeder Runde werden sich die ‚Ones‘ eine Position weiter nach rechts bewegt haben und die ‚Twos‘ eine weiter nach links. Wenn ein ‚One‘-Paar am Ende der Reihe ankommt, wird es zum ‚Two‘-Paar und umgekehrt.

Judith und ich sind nicht die einzigen Neulinge im Saal – und Judith kann wenigstens klassisch tanzen, ganz im Gegensatz zu mir. Zum Glück kann ich mich erstmal darauf konzentrieren, die richtigen Figuren in der richtigen Reihenfolge zu machen. Und da wir zu viert oder zu sechst tanzen, ist fast immer jemand dabei, der weiß, wo’s als Nächstes hingeht.

Bei den doppelten Achtern fallen Judith und ich trotzdem aus der Formation. „Geht einfach durch die Lücke zwischen euren Gegenübern“, sagt Tom im Vorbeitanzen, aber bei dieser Figur sind alle Leute ständig in Bewegung; diese Lücken müssen virtuell sein. Naja, wie Tom ja auch schon gesagt hatte: Playford ist nicht gerade der einfachste Anfang für einen Neuling – wir sind am tiefen Ende eingestiegen.

Für den allerletzten Tanz bleiben Judith und ich am Rand sitzen. Drei Stunden hin- und her springen, sich drehen und sich gegenseitig an den Händen herumwirbeln (minus eine Viertelstunde für Tee) ist ein ganz schöner Workout.

Maureen spricht uns an, als sich nach dem finalen Applaus für die Band die Veranstaltung langsam auflöst: Wir hätten uns wacker geschlagen, und wir sollen auf jeden Fall weiter machen und uns nicht dadurch verunsichern lassen, dass wir vielleicht nicht alles auf Anhieb richtig gemacht hätten. Blast of the Past hat heute Abend offenbar ein eher ungewöhnlich flottes Tempo vorgelegt. Sie holt ihr Handy und schreibt uns eine Telefonnummer einer Bekannten auf, die auch gelegentlich Abende wie diesen veranstaltet, und wir sollen unbedingt dort anrufen und sagen, dass sie uns schickt.

Und sie ist nicht die Erste: Schon in der Pause hatte der Herr mittleren Alters mit dem „Party like it’s 1651“-T-Shirt Judith angesprochen und uns erzählt, dass er Anfang März ein Ceilidh mit einfacheren und anfängerfreundlicheren Tänzen veranstaltet und ob wir nicht kommen wollen (aber da sind wir schon für ein Mittelaltermahl in Coombe Abbey verplant). Und während ich gerade bei der Taxizentrale anrufe, sehe ich, wie eine Dame mittleren Alters an Judith herantritt und ihr sagt, wie sehr sie sich freut, dass wir da waren und dass wir unbedingt wiederkommen sollen.

Ich glaube, das werden wir.

Party like it’s 1651

Was vom Haare übrig blieb

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[Mych] „Es ist so heiß hier drunter“, beschwerte sie sich. „Es ist so, als würde ich ständig einen Helm tragen.“

Den Friseur in fußläufiger Nähe, den sie im Internet gefunden hatte („Attractions Hair & Beauty“), fanden wir einfach nicht. Aber gegenüber — direkt neben dem Pub, an dem ein großes Stofftransparent jemandes Hochzeit verkündete — sahen wir ein attraktives Ladenschild für „Annette’s Hair & Beauty“. Nicht die, die wir gesucht hatten, aber ähnlich genug. Kein Ladengeschäft, sondern offenbar ein Studio im ersten Obergeschoss des Hauses.

Als wir uns an der Hauswand entlang in Richtung Eingang drückten, kam uns schon eine junge Frau entgegen, die uns nett anlächelte und ein bisschen nach Friseurin aussah. Drinnen ging’s eine enge Treppe hoch, die in einem winzigen Flur mit einer Garderobe mündete. Hinter einer der Türen war entspannte, fröhliche Konversation zu hören. Es dauerte nur einen Moment, bevor jemand uns bemerkte.

Annette erwies sich als sympathische Dame mittleren Alters. Judith hatte natürlich keinen Termin, aber — „Sie haben Glück. Normalerweise würden wir am Samstag niemanden mehr dazwischen quetschen können, aber heute waren wir alle besonders früh da, weil wir die Braut und ihre Jungfern zurecht gemacht haben. Ich hab meine Mädels schon nach Hause geschickt, aber eigentlich haben wir tatsächlich noch bis zwei offen. Setzen Sie sich — ich schneid‘ Ihnen die Haare gerne noch.“

Und dann ging’s los. Judith hatte Bedenken gehabt, wie sie beim Friseur wohl rüberbringen sollte, was für eine neue Frisur sie haben wollte, also hatte sie ein Foto aus dem Internet ausgedruckt und mitgebracht. Das Foto war nützlich, aber tatsächlich stellte sich die Kommunikation mit der netten Dame als völlig problemlos heraus. Während sie wusch, rasierte und schnitt, beobachtete ich Judiths Transformation fasziniert und nippte an meinem Kaffee, den man uns angeboten hatte. Beim Pub nebenan, auf dessen Fronteingang man einen guten Blick vom Haarstudio aus hatte, fuhr irgendwann ein Sattelschlepper mit einer Entourage von Motorrädern vor und gab einen Bräutigam, eine Braut und eine erstaunliche Anzahl von Brautjungfern von sich.

Wieder zu Hause: Fototermin.

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Die viele Dreherei macht Judith natürlich ganz mau im Kopf. Aber ganz abgesehen davon kann man auch sonst mit ihrer neuen Frisur ’ne Menge Spaß haben …

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Was vom Haare übrig blieb

The Karnickel has landed

[Mych] Abfahrt: 17:22 Uhr CEST. Ankunft: 11:02 BST. Karnickelstatus: hungrig und müde. Aber lebt.

Karnickel angekommen

Der alte Hase hat uns kurz vor Ankunft in Coventry — buchstäblich auf den letzten paar Meilen — nochmal einen ordentlichen Schrecken eingejagt: Nachdem er praktisch die ganze 19-stündige Fahrt über rumgewurschtelt und an seiner Decke rumgezuppelt hatte, statt sich mal hinzulegen oder wenigstens was zu fressen, konnten wir durch die engen Schlitze seiner Transportbox nur noch sehen, wie er regungslos in der Ecke lag.

Aber das war zum Glück nur Erschöpfung. Und, wahrscheinlich, Hunger. Sogar von dem frisch gepflückten Löwenzahn aus unserem Vorgarten wollte er nichts wissen, solange er noch in seiner Box saß. Aber als Judith erst seine neue alte Wohnung aufgestellt hatte, sprang er sofort rein und hatte binnen Minuten das ganze Grünzeug aufgemampft:

Karnickel bezieht neue alte Wohnung

Und danach fiel er erstmal einfach in seinem Bettklo um:

Karnickel plumpsDas ist ein gutes Zeichen — sozusagen die ultimative Anti-Fluchthaltung. (Jetzt gerade mümmelt er wieder.)

Beobachtungen von unserer langen Reise:

  • Es ist offensichtlich ein aufwändiger und teurer Prozess, Benzin in die Niederlande einzuführen: Anders kann ich mir nicht erklären, dass der Liter knapp jenseits der Grenze gut 25 Eurocent teurer ist als in Deutschland.
  • Die Holländer machen bessere Autobahnen als die Belgier. Korrektur: Jeder macht bessere Autobahnen als die Belgier.
  • Aber dafür macht niemand so viel Tamtam um Autobahnbaustellen wie die Leute in Belgien. Erste Vorankündigung ungefähr 16 Kilometer vor der Baustelle; Tempolimit auf ungefähr Schritttempo gedrosselt; und nach zweihundert Metern ist der Spuk vorbei.
  • Es gibt unglaublich hohe Lastwagen in England: Die haben ungefähr das Querschnittsprofil von zwei regulären deutschen Lastern aufeinander. Keine Ahnung, warum ich sowas in Kontinentaleuropa noch nie gesehen habe. Vielleicht passen die einfach alle nicht durch den Eurotunnel?
  • Nichts, aber einfach gar nichts auf dieser Reise ist „bald“. Als ich auf der letzten Strecke quer durch England sowas sage wie „die nächste Routenanweisung ist dann endlich die Abfahrt vom Motorway“ (so in etwa 80 Kilometern), guckt Judith sich schon suchend nach dem Schild um.
  • Links fahren ist halb so wild. Allerdings hätten wir beim Beladen des Autos darauf achten sollen, dass ich einen unverstellten Schulterblick durchs rechte Rückfenster habe, denn nur mit meinem aus unerfindlichen Design-Gründen verkümmerten rechten Seat-Ibiza-Seitenspiegel habe ich offensichtlich einen nennenswerten toten Winkel. Aber Judith macht sich gut als Ersatzseitenspiegel bzw. Deputy-Schulterblickerin.
  • Es gibt „Berge“ in England. Damit man sie bemerkt, fahren da dann alle Lastwagen ganz langsam (steht auch auf Schildern am Rand: „slow lorries„), und die Autofahrer sind mittendrin in der Prozession.
  • Stadtverkehr mit Navi in Coventry: nein. Zum Glück erkannte Judith in dem Moment, als ich schon mit wilden Augen zum dritten Mal in irgendeinem Kreisverkehr falsch abfuhr, wo wir waren, und konnte mich nach Hause franzen. Unser netter alter Herr Nachbar zur Linken parkte nicht nur sein Auto um, damit wir direkt vor unserem Haus parken konnten, sondern bot sogar an, uns beim Schleppen zu helfen (aber das konnten wir natürlich nicht annehmen).

Was man nachts um halb vier am Eurotunnel-Terminal in Calais so tun kann:

Geocaching (mein Log, Judiths Log). Im Hintergrund ein Hintern ein Monument der Kunst.

Geocaching am Eurotunnel-Terminal Calais

Und zu guter Letzt: die Queen mit ihrem Corgi.

Die Queen und ihr Corgy Wie sagte einer meiner Ex-Kollegen so schön? „Nach müde kommt blöd.“

The Karnickel has landed

Shopping

[Maus] Ich hasse Shopping. Aber es muss manchmal sein. Leider fehlen in meiner Unterkunft einige Dinge, die ich für dringend notwendig halte. So fehlte hier in meiner Eisbude vor allem eine Kuscheldecke für mein Sofa. Ein Trip zu einem bekannten Möbelhaus sollte dieses Problem heute lösen. Einmal dort bin ich wie im Rausch von Regal zu Regal gepilgert und habe meinen gelben Beutel gefüllt. Nun habe ich neben einer roten Kuscheldecke auch noch eine kleine Pfanne, eine French-Press-Kaffeekanne, eine Kaffeetasse für die Uni, ein scharfes Messer, vier Geschirrtücher, eine Plastikbox für die Mikrowelle und eine vernünftige Klobürste. (Die hier bereits vorhandene Klobürste ist für die Toilette ungeeignet und ich habe hier so etwas wie ein Putzfimmel entwickelt.)

Anschließend bin ich in den Coventry Market gegangen — ein Markt, in dem man fast alles kaufen kann. Da habe ich dann auch entdeckt,wo die Engländer ihre Oma-Gardinen herbekommen. Ich konnte sogar ein Pärchen in meinem Alter beobachten, das sich gerade eine dieser hübsch-hässlichen Gardinen einpacken ließ. In der Mitte des Marktes gibt es sogar ein Kinderkarussell. Ich bin ein paar Mal im Kreis herumgelaufen und habe mal geschaut, was so Angeboten wird, aber ich fühlte mich wie auf einem Polenmarkt und kaufte dann nur ein paar Bananen und zwei Salatherzen. Es ist dort zwar alles billiger, aber auch alles ziemlich heruntergekommen. Die Zukunft wird zeigen, ob ich mich daran gewöhnen kann. Momentan ist dieser Markt die einzige vernünftige Alternative zu dem Super-Tesco.

Voll gepackt mit meinen Einkäufen wollte ich dann noch schnell eine DVD kaufen. Ha! Erstmal einen Laden finden, der so etwas Exotisches verkauft. Eine halbe Stunde Herumirren in der Einkaufspassage von Coventry und ich habe doch tatsächlich einen Laden gefunden, der ausschließlich DVDs und Blu-Rays verkauft. Die DVD, die ich haben wollte, ist die zweite Staffel von „Ripper Street„. Einsortiert war sie unter Drama. Ich habe trotzdem nur zehn Minuten gebraucht, um sie zu finden.

Wieder zu Hause haben ich den ziemlich stürmischen Tag dazu genutzt, um zu putzen. Das ist ein wenig zu einem Hobby ausgeartet, das ich ganz bald mal durch ein richtiges Hobby austauschen sollte. Aber meine Eisbude ist auch zu klein, um darin nicht ständig für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen.

Übrigens: Heute ist es so stürmisch, dass der Wind durchs geschlossene Fenster rein und zum Kamin wieder raus wedelt.

Shopping

There and back again

[Maus] Ach ja, viel zu tun im neuen Zuhause. Aber zunächst einmal will ich von meiner Reise berichten. Wie Michael schon beschrieben hat, bin ich mit einem 22,6 kg schweren Koffer und einem prall gefüllten Rucksack angereist. So langsam stelle ich auch fest, was hier alles nützlich gewesen wäre. Ein scharfes Messer zum Beispiel. Aber davon später mehr. Mein Flug war im Durchschnitt recht angenehm, aber 10 Minuten nach Abflug gab es einen gewaltigen Ruck, der einige meiner wenigen Mitreisenden hörbar erschreckte. Ich klammerte mich einige Sekunden an meinen Armlehnen fest und konnte ein leises Aufstöhnen, als meine Zähne aufeinander schlugen, nicht mehr unterdrücken. Glücklicherweise war dieser Augenblick so schneller vorbei als eine Achterbahnfahrt, und ich wurde nur noch ab und an leicht durch gerüttelt. Als ich bei ruhigerer Wetterlage mein Portomonnaie aus meiner Jackentasche holen wollte, war mein gesamter Kram bis ans andere Ende des Faches gerutscht. Wäre der Flieger voll gewesen, wäre das nicht passiert.

Bei der Landung gab es auch noch mal eine Schrecksekunde. In dem Augenblick als ich den Boden erblicken konnte, setzte das Flugzeug schon auf. Der reinste Suppenkessel in Birmingham und das Wetter … Micha hat ja schon davon berichtet.

Beim Einrichten in meiner vorübergehenden Unterkunft sind mir gleich am ersten Abend eine Menge Dinge aufgefallen, die nicht meinem deutschen Standard entsprechen. Das Schlimmste für mich ist der Dreck. Eigentlich ist es nicht furchtbar dreckig, aber es ist nicht mein Dreck. Also mussten wir am ersten Nachmittag zunächst mal Putzmittel kaufen und ich habe ein wenig den Kalk weg geschrubbt. Aber wir hatten auch noch eine Minzepflanze mit etwas mehr als drei Blättern hier herumstehen und eine Plastikflasche mit abgeschnittenem Hals, aber ohne erkennbare Funktion. Ach ja, den Kühlschrank habe ich einmal gründlich ausgewischt.

Hier ist es auch staubig. Die Wollmäuse hängen hier von der Decke herunter. Dieses Problem werde ich im Laufe der nächsten Tage lösen. Vielleicht stelle ich eine Wollmausfalle auf. Mal sehen. Es ist hier auch ziemlich kühl. Ich habe hier in der Wohnung immer zwei Pullover an und kuschelige Hausschuhe. Wenn man sich einige Bewohner dieser Gegend anschaut, muss man sich auch nicht über diese unterkühlte Unterkunft wundern. Am Flughafen habe ich jemanden in kurzer Hose und ohne Schuhe gesehen. Als Einzelfall betrachtet, könnte man meinen, es war ein Verrückter unterwegs, aber ich habe hier in Coventry schon drei Herren ohne Jacken und nur im T-Shirt angetroffen. Ich gewöhne mich ja vielleicht noch an das Seeklima.

Heute wollten wir dann extra früh aufstehen, damit wir genug Zeit für alle anstehenden Erledigungen haben. Ich war schon vor dem Weckerklingeln wach, weil unsere Mitbewohner offenbar schon aus den Federn gesprungen waren. Es ist hier sehr hellhörig. Gestern konnten wir zuhören, wie eine junge Frau ziemlich lange telefoniert hat. Ich glaube, sie wohnt direkt über mir; ich habe sie Trampeltier getauft. Wahrscheinlich läuft sie ganz normal in ihrem Zimmer von einer Ecke in die andere, aber es klingt, als würde sie eine neue Choreographie einstudieren. Kurz nach dem Aufstehen wollte ich dann meine Kamera startklar machen. Nach der Formatierung der Karte wollte die Kamera diese dann nicht mehr erkennen. Mein erster kleiner Wutausbruch folgte. Das zweite Ärgernis des Tages ließ nicht lange auf sich warten. Die einzigen beiden Schüsseln in dieser Wohnung sind eigentlich zu klein für alles außer ein paar Nüsschen oder Gummibärchen. Wir wollten aber Porridge zum Frühstück essen. Solches, was man in der Mikrowelle zubereiten kann. Ein englisches Frühstück mit gebackenen Bohnen, Pilzen, Würstchen usw. werde ich mir hier auch nicht zubereiten können. Ich habe nur zwei Herdplatten, und aus einem mir nicht bekannten Grund schalten die sich jeweils nach 15 Minuten Benutzung aus. Ich rate mal ins Blaue hinein, dass es sich dabei um eine Sicherheitsabschaltung handelt, für den Fall, dass man vergessen hat, sie auszuschalten. Nervig ist das alle Mal, da das auch immer mit lautem Piepen angekündigt wird. Die Mikrowelle ist auch so ein nerviger Piepser. Alles wird mit Piepsen quittiert. Alles.

Nachdem ich das Kameraproblem auf später verschoben hatte, sind wir dann wieder ins Zentrum des „Dorfes“ marschiert. Ich brauchte ja ganz dringend eine englische Telefonnummer. Das Unkomplizierteste ist eine sogenannte „Pay as you go“ SIM Card. Auf Deutsch eine Prepaid-SIM-Karte. Komisch, dass der deutsche Begriff, obwohl er englisch ist, für mich mehr Sinn ergibt. Die SIM Card haben wir in einem T-Mobile/Orange/EE-Shop gekauft. Ich bekomme für £10 100 Minuten Telefonieren, 400 SMS und 1 GB Daten. Ein gutes Angebot.

Danach sind wir zu IKEA rüberspaziert. Hier ist alles nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Daher kommt wahrscheinlich auch unser Eindruck, bei Coventry handele es sich in Wahrheit um ein Dorf. Den Speckgürtel haben wir uns allerdings noch nicht angeschaut.  Angekommen im IKEA haben wir jeweils eine Portion „Swedish Meatballs“ verputzt. Schade, das die Dinger hier nicht auch Köttbullar heißen. Die Engländer mögen ja vielleicht kein ausländisch?  Ach ja, Kaffee haben wir auch getrunken, aber  eigentlich sah er weder danach aus, noch hatte er die Wirkung von Kaffee. Egal, wir müssen uns eben anpassen und vielleicht zu Tee wechseln, der darf nämlich so aussehen.

Gekauft haben wir dann: zwei Geschirrtücher (ich weiß nicht, wieso, aber sowas wurde hier in der Wohnung offenbar noch nie benutzt), zwei große Schüsseln für Porridge aus der Mikrowelle, zwei tiefe Teller (für Nudeln mit Tomatensoße, die es gestern von flachen Tellern gab) und zwei ordentlich große Kaffepötte (oh Kaffee wäre jetzt schön — Micha?). Unsere Einkäufe brachten wir nach Hause und nach einer kurzen Kaffeepause sind wir dann mal Richtung Uni losgezogen. Letztlich haben wir eine 10-km-Runde gedreht, bei der wir auch einen Abstecher zum Tesco Superstore gemacht haben.

Das Erlebnis des Tages war die Abkürzung, die wir auf dem Rückweg ausprobiert haben. Die führte uns am „Canley Ford“ entlang. Das Problem mit diesem wirklich zauberhaften Pfad war die Dunkelheit und das viele Wasser. Aber es war immerhin eine echte Abkürzung, die bei schönem Wetter sehr zu empfehlen ist.

There and back again

Der Trek in die Innenstadt

[Mych] Der Freitag ist noch jung und der Kühlschrank leer, also planen wir einen ersten Einkauf in der neuen Stadt. Claire hatte uns auf die nahe gelegene Einkaufsstraße hingewiesen, denn die Innenstadt sei doch schon recht weit entfernt — mindestens zehn Minuten Fußweg, sehen wir auf der Karte; vielleicht sogar zwölf?

Aber wir lassen uns ja nicht so leicht schrecken und wappnen uns für die lange Wanderung. In der Innenstadt haben wir nämlich den nächst gelegenen Tesco identifiziert — die einzige englische Supermarktkette, mit der wir schon (aus London) Erfahrung gemacht haben. Bei Tesco gibt’s einfach alles, sagt uns unsere Erinnerung.

Unser Trek führt uns entlang einer Parkanlage zu einer schmalen Metallbrücke über die Bahngleise, auf denen wir gestern in die Stadt gefahren sind. Durch die dünne Asphaltschicht sieht man stellenweise den stählernen Untergrund hindurchblitzen. Weiße Fahrbahnmarkierung reserviert den rechten Dreiviertelmeter für Fahrräder, den linken für fußläufige Menschen. Wir versuchen, eine Familie mit einem kleinen Jungen zu überholen, der fröhlich versonnen auf dem Mittelstreifen balanciert; er entkommt uns ein paar Mal, aber am Ende lassen wir die drei dann doch hinter uns.

Ungefähr parallel zu den Schienen verläuft eine breite Straße, die wir mit Hilfe einer geräumigen Unterführung unterqueren können. Es sind einige Leute unterwegs. Zwei junge Männer kommen uns entgegen, die sich angeregt und gut gelaunt auf Chinesisch unterhalten. Coventry scheint eine ganz schön international bevölkerte Stadt zu sein. Dafür sprechen auch vielen Geldüberweisungsläden und Wechselstuben, an denen wir in den nächsten Minuten vorbeikommen. Ich hatte Coventry bis jetzt noch nie als touristisches Ziel wahrgenommen.

Wir gehen durch eine weitläufige Fußgängerzone, die offenbar die komplette Innenstadt einnimmt. Alles ist voller Menschen und Geschäfte. Der erste „£1“-Laden fällt mir noch auf, aber nach dem vierten habe ich sie schon ins Stadtbild eingeordnet. (Offenbar gibt es hier mindestens zwei konkurrierende Ketten: Eine verkauft alles für £1, die andere alles für 99 Pence. Sicherlich einschließlich aller Artikel, die woanders billiger wären.) Ebenfalls auffällig ist die grüne „Deichmann“-Leuchtschrift an einem Schuhladen; die internationale Bäckerei, die sich den Verkauf von ausländischen Brotspezialitäten (mit Kruste, in Abgrenzung zum typisch englischen Brot, nehme ich an) auf die Fahnen schreibt; die Statue für jene Lokalberühmtheit, die offensichtlich vor 200 Jahren eine Art Easy Rider im Hochrad-Look erfunden hat; die Crêpes-Bude, die „Pancakes“, und die Würstchenbude, die metrische Längen von „Bratwurst“ und „spicy Krakauer“ verkauft; und der schiere Umstand, dass jetzt gerade, kurz nach 17 Uhr, mindestens die Hälfte der Läden bereits geschlossen hat, und die restlichen ihnen das um halb sechs gleichzutun versprechen. Wir müssen uns also beeilen.

Mit Hilfe unseres Mobiltelefon-GPS entdecken wir den angepeilten Tesco Express an einer Straßenecke. Der Laden ist winzig und eng. Ich muss eine Zahnbürste kaufen, aber Zahnbürsten sind aus. Ersatzweise lege ich „20 Flapjack Bites“ in den Einkaufskorb, weil ich sowas noch nie in Deutschland gesehen habe. (Ich werde mich sowieso im Laufe der nächsten zwei Jahre durch all die unbekannten Dinge durchfuttern müssen, die ich hier so in den Ladenregalen entdecke.) Judith greift an der einzeln verpackten Küchenrolle vorbei zum Doppelpack, und wir legen noch Nudeln und eine Nudelfertigsoße in unseren Korb; die Idee, selbst eine kochen zu können, geben wir angesichts des Nicht-Angebots von Zwiebeln auf. An der Kasse werden unsere paar Artikel ungefragt in nicht weniger als vier Plastikbeutelchen eingetütet, die wir danach in unseren mitgebrachten Rucksack stopfen.

Meiner Zahnbürstenmisere können wir — kurz vor Ladenschluss um 17:30 Uhr — dann zum Glück noch im nahe gelegenen Drogeriemarkt entkommen; dort herrscht das geschäftstypische Überangebot an in jeder denkbaren, irrelevanten Dimension unterschiedenen Zahnbürstenmodellen. Nach kurzem verwirrten Grübeln über deren relative Vorzüge greife ich nach dem Modell mit dem ergonomischst aussehenden Griff. Im nächsten Regal finde ich Duschgel und Deo der Marke, deren deutscher Markenname im Englischen nach Waldarbeiter oder mittelerdischem Zwerg klänge und die hier daher „Lynx“ heißt. („For a deeper clean, use a Manwasher!“ — das Marketing ist jedenfalls identisch.)

Der Trek in die Innenstadt