[Mych] Der steinerne Weg erstreckt in einer sanften Kurve weg vom felsigen Strand, weg von der Küste vor Marazion. Kleine Wellen schwappen gegen die behauenen Steinblöcke, die den Rand des Wegs ausmachen; links und rechts davon von der See abgeschliffene Felsen im Sand, überwachsen von Algen und besetzt mit Muscheln, umspült von den paar Fingerbreit Meerwasser, die von der Ebbe noch übrig sind.
In der Entfernung, am anderen Ende des Wegs, fast einen halben Kilometer draußen im Meer, zeichnet sich die Silhouette einer Insel gegen den Himmel ab; auf einem Sockel von Felsen, mit sanft ansteigenden Flanken von Gras und Baumwipfeln, gekrönt von einem majestätischen Bauwerk mit Zinnen, Türmchen und Kaminen: St Michael’s Mount.
Wir sind um der Gezeiten willen früher als sonst aufgestanden und marschieren gemeinsam über den dreieinhalb Meter breiten gepflasterten Weg, der bei Niedrigwasser die Insel mit dem Festland verbindet. Magdalena klettert, meistens an Judiths Hand, lieber zwischen den Steinen neben dem Weg herum und findet Seetang, Steine, Muscheln und Schneckengehäuse, die sie stolz und aufgeregt allen präsentiert, die in der Nähe sind.
Auf zwei Drittel des Wegs zur Insel müssen wir einige Schritte weit auf den Randsteinen des Wegs entlang balancieren, denn die Steine dazwischen fehlen, und die nahende Flut hat den Untergrund bereits mit einer Schicht Wasser bedeckt; den Rückweg werden wir auf diese Weise nicht mehr antreten können. Später erfahren wir, dass diese Schäden jüngeren Datums sind: Erst letztes Jahr war dieser Abschnitt des Wegs bei einem Sturm von den peitschenden Wellen aufgebrochen und weggeschwemmt worden – allzu weit waren die Steinblöcke im seichten Wasser um den Weg herum nicht gekommen, aber die endgültige Reparatur steht noch aus.
Wir erreichen rechtzeitig das gezeitensichere Terrain der Insel. Bis wir die Burg an ihrer Spitze und ihre Gartenanlagen besichtigen können, müssen wir noch eine gute Stunde warten, und verbringen die Zeit damit, uns umzuschauen: Eine Mole umschließt einen kleinen Hafen, in dem ein paar kleinere Boote zurzeit noch auf feuchtem Sand liegen und auf die Flut warten. Zwei nette kleine Insel-Shops haben schon offen und laden zum Stöbern ein.
Irgendwann öffnet auch der Ticket-Shop, und wir machen uns auf den Weg nach oben in Richtung der Bergspitze; vorbei am Herz des grausamen Riesen, der der Legende nach von einem tapferen jungen Mann aus Marazion namens Jack mit einer List in eine Falle gelockt worden war, und das wir auf unserem Hinweg leider noch nicht zwischen den Steinen finden können; später, als wir wieder herunter kommen, haben wir mehr Glück und entdecken es, eingebettet zwischen den runden, unregelmäßigen Pflastersteinen des Wegs.
Der Pfad bergauf ist steil und windet sich hin und her, kommt an Mauerwerken in Richtung See vorbei, die teilweise nur den Absturz auf die Felsen weiter unten verhindern sollen, teilweise aber auch mit Kanonen ausgestattet sind, die ihrerzeit napoleonische Kriegsschiffe in die Flucht schlugen; ihr moderneres Äquivalent aus dem Zweiten Weltkrieg, die Pillbox genannten Maschinengewehrbunker, finden wir später viel weiter unten und viel näher am Ufer.
Die Burg ist verwinkelt und eng und schön und gut erhalten, und ungewöhnlicherweise machen die Konservatoren dieses Gemäuers und seines Inventars einen Punkt daraus, zu erläutern und zu zeigen, wie aufwendig es ist, all diese alten Dinge in präsentablem Zustand zu erhalten: Wir finden kleine, farbige Textilquadrate, ihr Rand von einem breiten Papprahmen abgedeckt – eines dieser Konstrukte dürfen wir anfassen und öffnen; zwei Wochen nur war es dem Umgebungslicht ausgesetzt, sagt die Aufschrift, und schon ist aus dem kräftigen Blau ein helles Graublau geworden. In fast jedem Raum entdecken wir HumBugs – digitale Luftfeuchtemesser. Ein fest verschraubtes Marmeladenglas voller Staub demonstriert, wieviel Schmutz hier jeden einzelnen Tag weg gesaugt wird, bevor die ersten Besucher eintreffen, und bevor sich der Staub zusammen mit der vom Meer aufsteigenden Luftfeuchtigkeit zu einer zementartigen Substanz verbindet und alles, auf dem er sich niederlegt, korrodieren lässt.
Fast am höchsten Punkt der Burg befindet sich die Kapelle, und darin entdecken wir an einer Wand eine kleine Skulptur meines Namensgebers – und dessen der Insel, auf der wir stehen –, des Erzengels Michael, in seinem Triumph über Satan; ein Motiv, das uns nicht ganz unbekannt vorkommt.
Wir verlassen die Burg und gehen im schönsten Sonnenschein wieder den Abhang herunter (und finden jetzt endlich das Herz des Riesen zwischen den Steinen; aber es pocht leider nicht, wie es die Legende will, zumindest nicht unter unseren Fingern).
Unten, bei dem kleinen Hafen, in dem die Boote leise in der Flut schaukeln, finden wir den Eingang zu den Gärten, die sich zunächst als wohlgeschorener Rasen am leicht ansteigenden Abhang darstellen. Wir wandern auf dem Gras entlang dorthin, wo der Abhang und der felsige Sockel der Insel aufeinander zu stoßen scheinen, und treffen auf einen engen Pfad zwischen den Pflanzen, der uns in Windungen, durch kleine schmiedeeiserne Tore und steile Treppenstufen aus Felsbrocken hoch und herunter durch eine wunderschöne Gartenanlage führt, die sich an die Flanken der Insel anschmiegt. Bei einer Bank, mit dem Felsen und der Burg im Rücken, zu unseren Füßen der Atlantik, um uns herum Sträucher und kleine Bäume, deren Blätterdach uns Schatten spendet, machen wir eine Rast und verzehren ein paar Weintrauben, Apfelschnitze und Kekse, bevor wir uns auf den Rückweg machen.
Der Weg weg von der Insel zurück ans Festland über den steinernen Weg ist uns jetzt von der Flut versperrt; aber man kann sich in einem offenen Motorboot übersetzen lassen. Zuvor sammeln wir noch die beiden Hinweise für einen Geocache ein und spendieren uns allen Cornish Ice Cream – ich: eine Kugel Schokolade und eine Kugel „Honigwabe“; ein phänomenaler Genuss, aber nicht ganz unkompliziert zu verzehren, denn die Eiswaffel wäre schon mit einer einzigen Kugel dieser Größe völlig überladen gewesen, und ich habe trotz des kräftigen kühlen Winds größte Mühe, die cremige Masse auf allen Seiten gleichzeitig am Tropfen zu hindern.
Wir vertilgen unser Eis und wandern zum Hafen und zum Ende der Mole, steigen in das wartende Motorboot und lassen uns übersetzen. Die Fahrt dauert nur ein paar Minuten, während derer der Bootsführer, der am Heck des Boots steht und das Ruder bedient, unser Fährgeld kassiert. Nach dem Anlegen wandern wir noch ein Stückchen durch den Ort Marazion und dann zum Strand hinunter, um unseren Geocache zu finden. Den Rückweg zum Parkplatz würden wir am liebsten über den Strand gehen, aber die Wellen der Flut schwappen an einigen Stellen bis dicht an die Geröllhaufen am Kliff, das den Strand in Richtung Inland begrenzt.
Bevor wir zurück nach Hause fahren, machen wir noch einen Abstecher nach St Ives – einmal quer durchs Land von der Südküste an die Nordküste von Cornwall, die hier gerade mal zehn Kilometer voneinander entfernt sind. Wir setzen uns dort an den Strand in die Sonne und flüchten kurz danach für zehn Minuten unter einen Baum, um einem Regenschauer zu entkommen; in der Sonne, die danach wieder hervorkommt, wandern wir weiter durch den Ort, am Meer entlang über kopfsteingepflasterte Wege, finden einen Virtual um seines Seltenheitswerts willen, drücken uns an Schaufenstern die Nase platt, kaufen Fudge in einem winzigen Laden von einer liebenswürdigen älteren Dame, die jeden ihrer Kunden mit „dear“ anspricht (sie sagt, der Fudge hält bei Zimmertemperatur sechs Monate, aber das glaube ich nicht – er ist sicher morgen schon weg); beobachten ein paar wackere Schwimmer im 13 Grad kalten Wasser in Neoprenanzügen und einen noch wackereren ohne; ein paar Hunde, die wonnig ins Wasser springen, und ein paar Möven, die immer näher an uns heran hüpfen und trotzdem nichts von unserem Fudge abbekommen.
Irgendwann müssen wir zurück zum Auto und fahren nach Hause; müde, glücklich, mit glühenden Wangen von der Sonne, die wir heute abbekommen haben, und mit Muscheln und Erinnerungen und dem besten Fudge in der Tasche, das wir je hatten. So ein schöner Tag.