Fettlebe

[Mych] „Ich seh überhaupt keinen Unterschied“, beschwert sich Judith nach einem Blick in den Spiegel – und stellt ihren Gürtel um ein Loch enger, weil sonst die Hose nicht hält. In der Küche stehen die Reste unseres gestrigen Abendessens: Broccoli mit ordentlich Käse überbacken – mjamm.

Heute bin ich schlank, aber das war nicht immer so. Irgendwann in meinen späten Zwanzigern (vor ungefähr zehn Jahren) stellte ich eines Tages fest, dass die traditionelle allweihnachtliche Gewichtszunahme sich bis Ende September immer noch nicht wieder gegeben hatte: Ich war drauf und dran, den Weg zum schmerbäuchigen Mittdreißiger einzuschlagen.

„Fett reduzieren!“, suggerierten die Regale im Supermarkt. Ich setzte mir ein tägliches Fett-Limit – 30 Gramm, inklusive der „versteckten Fette“, die man nur auf der Nährwerttabelle findet –, und hielt das ungefähr ein Jahr lang ziemlich konsequent durch. Und es wirkte! Als pummeliger Endzwanziger hatte ich 85 Kilogramm gewogen – das entspricht einem Body-Mass-Index (BMI) von 26,5 bei meiner Größe, klassifiziert als „leicht übergewichtig“ –, und jetzt ich hatte mein BMI-Ziel von 22,5 erreicht, mitten im Normalgewichtbereich: 72 Kilogramm. Keine Pausbäckchen mehr, und kein Grund mehr, nur in Schlabber-T-Shirts und weiten Pullis rumzulaufen.

Was ich dabei gelernt hatte:

  • Mein Körpergewicht kann von einem Tag auf den nächsten um mehr als 1-2 Kilogramm schwanken – in beide Richtungen. Das ist normal.
  • Je mehr ich „drin“ war, desto mehr verschwand das ständige Hunger- oder Appetitgefühl. Am unangenehmsten waren (nach einem Tag der Schwäche) immer die ersten ein bis zwei Tage, dann ging’s wieder gut.
  • Sich mit dem Aussehen seines Körpers wieder wohl zu fühlen wirkt Wunder.

Oh, und:

  • Fett reduzieren ist Blödsinn.

Was bei mir gewirkt hatte, war, dass ich weniger zu mir nahm, weil ich darauf achtete, was ich aß.

Vor ein paar Monaten kratzte die Waage bei Judith und mir (nach einer Woche English Breakfast) wieder an Höchstgewichten, die wir beide eigentlich nie mehr hatten erreichen wollen.

Und dann entdeckten Judith und ich Keto.

Die Keto-Diät ist kontraintuitiv für jemanden, der in deutschen (oder englischen) Supermärkten kultiviert wird: Nicht Fett ist böse, sondern Kohlenhydrate – nicht mehr als 25–50 Gramm davon pro Tag. Das zwingt den Körper innerhalb von ein paar Tagen dazu, nicht mehr haufenweise Insulin auszuschütten, um Zucker zu verbrennen, sondern in den Ketose-Modus umzuschalten und aus Fett Energie zu gewinnen. Und zwar nicht nur aus dem Fett im Essen, sondern auch dem bereits eingelagerten.

Also eigentlich ganz simpel: Wenn meine Kalorien nicht aus Kohlenhydraten – Brot, Nudeln, Reis, Zucker – kommen dürfen, dann muss ich sie mir in Form von Fett (oder Eiweiß) zuführen. Zu viel Eiweiß ist auch keine gute Idee, weil der Körper das in Zucker umwandeln kann; also: hauptsächlich Fett. Webseiten wie der Keto Calculator (englisch) helfen dabei, auszurechnen, wieviel Fett und Eiweiß man zu sich nehmen muss, um entweder sein Gewicht zu halten oder abzunehmen – inklusive eines hübschen Graphen mit Gewichtsprognose.

Judith und ich machen das jetzt seit einigen Wochen, und …

  • Es funktioniert tatsächlich. Judith hat ihr Nahziel schon erreicht (will aber noch tiefer gehen – ungefähr zum gleichen BMI wie ich; sie wiegt schon jetzt weniger als ich, aber sie ist auch eine Handbreit kleiner). Bei mir zeigte die Waage heute Morgen 72,1 kg an – hundert Gramm über dem Ziel.
  • Es ist lecker! Wir lieben Käse. Und Fleisch. Und Bacon. Und wir haben kürzlich mal fritierte Avocado in einer Panade aus Mandelmehl und Parmesan zusammen mit ebenfalls fritiertem Halloumi gegessen. Mmmh. Auf Brot und Kartoffeln und Nudeln verzichtet es sich erstaunlich leicht, sogar im Urlaub.
  • Wir haben kaum Hunger. Das heißt nicht, dass wir unser Essen nicht genießen können – vielleicht sogar um so mehr. Und wir fühlen uns fit dabei. (Wir haben dieser Tage eher das Problem, dass wir beim Zusammenrechnen am Abend feststellen, dass wir eigentlich noch was essen müssten, um nicht zu wenig gegessen zu haben – wer zu wenig isst, baut Muskeleiweiß ab, und das wäre ja auch doof.)

In /r/keto auf Reddit posten jeden Tag ein halbes Dutzend Leute Vergleichsbilder von sich selbst mit dem Etikett „[SV]“ (für „scale victory“ – ein Sieg auf der, oder über die, Waage) – oder erzählen darüber, wie erstaunlich leicht ihnen diese Diät fällt; oder wie sie sich gefühlt haben, als ihnen am Morgen zum ersten Mal in ihrem Leben jemand sagte, dass sie schlank seien.

Wer leckere Rezepte sucht, findet die in /r/ketorecipes (Suppen, Gratins, Fleischgerichte, kreative Nudelsubstitute als Träger für die leckere, schon an sich ketokompatible Carbonara oder Bolognese).

Fettlebe

2 Gedanken zu „Fettlebe

  1. Maiky schreibt:

    Jaja die Kohlenhydrate. Sten ernährt sich ich glaube schon über ein Jahr so das er die Kohlenhydrate möglichst auf morgens beschränkt. Das ist ganz toll, er ist schlank und Rank und ich bekomme abends weder Pizza noch Nudeln 😂. Die Welt ist so ungerecht.

  2. Uschi schreibt:

    Ihr habt uns angesteckt! Wir versuchen auch,die Kohlehydrate weitestgehend aus unserem Leben zu verbannen und haben auch schon einen kleinen Erfolg zu verzeichnen.Drückt mal die Daumen,daß die „kleenen Tierchen“ (Kohlehydrate)nicht wieder Überhand in unserer Küche nehmen!Man erzählt sich,daß die Nachts kommen und deine Sachen enger nähen. Schade nur,daß es so mühselig ist,die englische Website zu übersetzen,wenn man der Sprache nicht mächtig ist! Dumm gelaufen!

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