Wo geht es hier zum Arzt?

[Maus] Die Engländer geben sich größte Mühe mit mir – vor allem beim Arzt.

Gesehen habe ich allerdings erst einen einzigen. Tatsächlich handelte es sich um eine junge Ärztin, die wahrscheinlich gerade eben erst mit ihrem Studium fertig geworden war: Sie schlug während meines Besuches ein dickes Buch auf und blätterte hin und her; und weil sie das, was sie suchte, nicht finden konnte, befragte sie auch noch das Internet.

Da fragt sich mancher Leser sicher, was ich wohl Sonderbares hatte. Die junge Ärztin hatte meinen Blutdruck gemessen und festgestellt, dass dieser zu hoch war. Das Problem daran: Ich war nicht beim Arzt wegen des zu hohen Blutdrucks oder weil ich mich neuerdings sonderbar fühlte, sondern weil ich ein neues Pillenrezept brauchte. Das wiederum wollte sie aber nur unter der Auflage ausstellen, dass ich meinen Blutdruck für 24 Stunden überwachen lasse.

Gesagt, getan. Wenn die mir schon die Pille kostenlos hinterherschmeißen, dann kann ich auch mal so ein 24-Stunden-Blutdruckmessgerät mit mir rumtragen. Dachte ich. Ich frage mich inzwischen ehrlich, wie andere Leute das aushalten. Ich war 24 Stunden im Dauerstress, weil das Ding an meinem Arm jede Stunde den Blutdruck maß. Und dementsprechend schlecht fiel mein Ergebnis aus.

Die folgenden drei Monate musste ich regelmäßig zur Kontrolle zu Marie, einer sogenannten practice nurse, die jedesmal meinen Blutdruck kontrollierte. Und siehe da: Mit jedem Besuch wurde der niedriger. Ihre Diagnose: ausgeprägtes Weißkittelsyndrom.

Seit ich mich in der Arztpraxis angemeldet habe, bekomme ich außerdem regelmäßig Briefe, in denen ich aufgefordert werde, zum cervical screening zu gehen. Das ist eine Krebsvorsorgeuntersuchung, die in Deutschland einmal im Jahr durchgeführt wird. In den Schreiben von der Praxis wird dagegen stolz berichtet, wie wichtig diese Untersuchung ist und das man unbedingt alle drei Jahre zu dieser Untersuchung gehen sollte.

Ich dachte mir, dass es dann ja nicht so dringend sein kann und hoffte, diese Untersuchung nicht hier in England machen lassen zu müssen. Doch dann kam ein neuer Brief, diesmal rot und mit fettgedruckter Aufforderung, entweder zum Screening zu kommen oder das beigefügte Formular zurückzuschicken, in dem ich begründe, warum ich diesen unglaublich wichtigen Termin nicht wahrnehmen möchte. Außerdem wurde ich darauf hingewiesen, dass ich bei Nichterscheinen weiterhin Aufforderungen zugeschickt bekommen würde.

Also gut, mach ich den Spaß halt mit. Frauen in Deutschland gehen für solche Untersuchungen zum Frauenarzt, der natürlich sämtliche gynäkologischen Gerätschaften inklusive gemütlichem Untersuchungsstuhl besitzt. Es ging da immer sehr sachlich zu, meine Fragen wurden alle beantwortet, meine partielle Nacktheit wurde professionell ignoriert.

In Großbritannien ist das ein wenig anders.

Ich vereinbarte einen Termin mit einer der Schwestern, und die erwartete mich in einem kleinen Räumchen mit einem Schreibtisch, zwei Stühlen und einer Liege. Sie befragte mich zu meiner Vorgeschichte und ob ich denn schon jemals eine solche Untersuchung hatte. Nachdem wir ihren Zettel gemeinsam ausgefüllt hatten, führte sie mich zur Liege, zog einen Vorhang zu und erklärte mir, sie habe mir das kleine Papierhandtuch dort hingelegt, damit ich mich zudecken kann.

Beinahe hätte ich laut losgelacht. Die Dame würde in wenigen Sekunden um den Vorhang herumkommen, um meinen privatesten Körperteil zu untersuchen und meint, ich müsste meinen Bauch mit einem Papiertüchlein bedecken. Ich ließ es sein. Als sie mit ihrer Untersuchung fertig war, freute sie sich darüber, wie tiefenentspannt ich gewesen war.

Wie sich wohl Engländerinnen bei dieser Untersuchung verhalten?

Wo geht es hier zum Arzt?

Alkoholschnelltest

[Mych] Der Engländer als solcher — zumindest jener, der ganz dem Klischee entspricht — hat sich ja über fast ein Jahrhundert der Sperrstundenregelung eine große Fertigkeit im effizienten Betrinken angeeignet: Wenn der Wirt so gegen 22:45 Uhr „Last orders please!“ rief, musste man panikartig noch die letzten Lagen Bier bestellen und sich bis 23 Uhr hinter die Binde gießen, damit man auf seine Kosten kam.

Ich weiß nicht, ob’s einen Zusammenhang zwischen diesen historischen Gegebenheiten und dem folgenden Formular gibt, das ich für meine Registrierung bei einer Arztpraxis hier in England ausfüllen muss, aber ganz aus der Luft gegriffen wird es sicher nicht sein:

NHS Fast Alcohol Screening Test

Das Ganze ist überschrieben mit „Fast Alcohol Screening Test“ (ungefähr: „Alkohol-Ausleseschnelltest“), und die Fragen sind folgende:

  • Frage 1: „Wie häufig haben Sie im letzten Jahr bei einer einzelnen Gelegenheit 6 Einheiten [alkoholischer Getränke] oder mehr getrunken, falls Sie weiblich sind, bzw. 8 oder mehr, falls Sie männlich sind?“ (Diese Menge entspricht für einen Mann knapp 2 Litern Bier oder 8 kleinen Gläsern Wein.)

Danach folgt der Hinweis: „Beantworten Sie die folgenden Fragen nur, wenn Ihre obige Antwort ’nie‘, ‚einmal im Monat‘ oder ’seltener als einmal im Monat‘ ist“.

Also … weiter für mich.

  • Frage 2: „Wie häufig waren Sie im letzten Jahr aufgrund Ihres Trinkens unfähig, zu tun, was von Ihnen normalerweise erwartet wird?“
  • Frage 3: „Wie häufig konnten Sie sich im letzten Jahr nicht daran erinnern, was in der vorherigen Nacht geschehen war, weil Sie getrunken hatten?“
  • Frage 4: „Hat ein Verwandter oder Freund, Arzt oder Gesundheitsarbeiter Bedenken in Bezug auf Ihre Trinkgewohnheiten ausgedrückt oder empfohlen, dass Sie weniger trinken sollten?“

Tja. Also. Hoffentlich werde ich nicht wegen des Pauschalverdachts auf Selbstverleugnung eingewiesen, weil ich auf die letzten drei Fragen (wahrheitsgemäß) mit „nie“, „nie“ und „nein“ geantwortet habe.

(Ach ja: Die „1“ statt einer „0“ bei der allerersten Frage ist Paddy’s Day geschuldet. Und vielleicht auch Markus‘ Geburtstagsparty. Hehe.)

Alkoholschnelltest