[Mych] Heute regnet es. In Strömen. Das hat es bis jetzt noch nie getan.
Wir halten einen netten Frühstücksschnack mit unseren neuen Bekannten aus Sydney und dem Vater aus Kanada – seine beiden Söhne hatten es noch nicht aus den Federn geschafft – und fahren weiter. Wir wollen zu Vík í Mýrdal, den schwarzen Strand.
Als wir von der Hauptstraße abbiegen, passieren wir ein Warnschild, das uns in mehreren Sprachen (neben den üblichen Gefahren wie bröckelnden Abhängen, fallenden Steinen, mümmelnden Schafen usw.) vor den „sneaker waves“ warnt, die am schwarzen Strand drohen. Wir sollen uns von der Brandung fern halten: Zwischen den harmlosen Wellen kommt hin und wieder auch mal unvermittelt ein Brecher herein, der jeden unachtsamen Touristen ergreift und ins Meer verschlingt.
Judith hat vorausschauenderweise ihre wasserdichten Hosen angezogen, die sie sich fürs Fahrradfahren in Coventry gekauft hatte, aber ich besitze keine. (Ich hatte vor unserem Urlaub daran gedacht, mir auch welche zu kaufen, aber irgendwie war das in den Vorbereitungen für unsere Party untergegangen. Keine Ahnung, wie das geschehen konnte.) Nach ein paar Kilometern schlaglöchriger Schotterstraße parken wir zwischen einer erstaunlichen Menge anderer Autos und begeben uns in den fast horizontalen Regen.
Der schwarze Strand besteht aus winzigen schwarzen Kieseln. Rechts Brandung, links die senkrechte Basaltwand. Das Meer verschwindet nach einigen Dutzend Metern im dichten Nebel. In der Ferne hören wir das Nebelhorn eines Schiffs, wieder und wieder.
In regelmäßigen Abständen hat das Meer die Felswand unterspült, die Basaltsäulen von unten her Stück für Stück abbröckeln lassen und Hohlräume geschaffen, die einige Meter in den Fels vordringen und Unterschlupf vor dem Wetter gewähren.
Oben auf den Felsen entdecken wir einige Papageitaucher zwischen den ganzen Möven.
Halb durchnässt setzen wir uns wieder ins Auto und fahren einen Umweg von dreißig Kilometern zum anderen Ende des schwarzen Strands, wo ein natürlicher Felsbogen und das Wrack einer Douglas C117-D auf uns warten. Die letzten Kilometer führen uns wieder über eine anderthalbspurige Schotterstraße, diesmal mit braunen Sturzbächen durchsetzt und in Serpentinen eine zehnprozentige Steigung den Berg hoch. Der Regen ist jetzt so waagrecht, dass die Frontscheibe unseres geparkten Autos trocken bleibt, während das Wasser gegen die Rückscheibe prasselt.
Wir steigen aus und gehen den Weg entlang, sehen den mit einer schlichten kniehohen Kette abgesperrten Abgrund, und dahinter nur hellgraues Nichts. Wir umrunden das kleine Leuchtturmhäuschen, das sich auf der Felsspitze befindet, während meine Jeans langsam von der Nässe schwer werden. Bevor wir an den Aussichtspunkt kommen, an dem wir den Felsbogen hinter der weißen Wand wahrscheinlich nur vermuten könnten, kehren wir um – das macht keinen Sinn so. Da fahren wir lieber gleich zu unserem nächsten Hotel und machen uns einen gemütlichen Resttag.
Entlang der Strecke biegen wir noch kurz zum Skógafoss ab. Wir grübeln kurz hin und her, ob wir tatsächlich das warme Auto verlassen wollen, um noch näher ranzugehen, und entscheiden uns schließlich dafür – wo sonst kann man schon ungehindert bis auf ein paar Meter ans untere Ende eines Wasserfalls ran?
Am frühen Nachmittag kommen wir in unserem Hotel für die nächsten beiden Nächte an. Reykjavik ist nur noch knapp sechzig Kilometer entfernt; wir wollen die nächsten beiden Tage nutzen, die Umgebung zu erkunden und erst übermorgen Abend zu unserer (vorläufig) letzten Übernachtung in Island in die Hauptstadt zu fahren.