[Mych] Was bisher geschah:
Anfang Juni 2015 bringe ich endlich den nötigen Enthusiasmus auf, um mich an meine beiden Steuererklärungen für 2014 zu setzen – eine für vier Monate des Steuerjahrs in Deutschland, und eine für die restlichen acht Monate elf Monate und sechs Tage des Steuerjahrs in England.
Heute ist Mitte Februar 2016, und heute wurde mir mein vorläufig finaler Einkommensteuerbescheid vom Finanzamt Frankfurt für 2014 durch die Haustür geschoben. Uff. Was lange währt, und so.
Dinge, die ich gelernt habe:
England
In England schaut sich niemand meine Steuererklärung an.
– nein, das kam nicht so rüber, wie es sich angefühlt hat, als ich es endlich kapiert habe; als sich dieser Sachverhalt sich endlich durch die vielen Schichten des mir in Deutschland ankultivierten Vertrauens in die Tiefe, Breite und Umfänglichkeit der Bürokratie als solcher, als Konzept, als von Völkern und Nationen unabhängiger Idee, gekämpft hatte, und wirklich bei mir angekommen war. Ich versuch’s nochmal.
In England schaut sich niemand meine Steuererklärung an. Ich muss ein kommerzielles Programm benutzen, um sie zu erstellen – wäre meine Steuersituation ein bisschen regulärer, dann könnte ich sogar ein Webformular der Steuerbehörde Ihrer Majestät benutzen. Mein Programm sagt mir (schon im Juni 2015), wieviel Steuer ich schuldig sein werde (und wann), und lädt meine Erklärung samt Anlagen hoch.
Und das war’s.
Da wird kein Steuerbescheid kommen. Kein Mensch wird jemals darauf gucken, was ich da ausgefüllt und ausgerechnet und belegt habe. (Es sei denn, dass ich die Lotterie um die paar Tax Audits gewinne, die stichprobenartig nach Zufallsprinzip jedes Jahr durchgeführt werden.) Ich bin ein bisschen erzürnt und fühle mich ein bisschen betrogen. Dafür habe ich mir die ganze Mühe gemacht? Damit ein Computer meine Excel-Tabellen-PDFs summarisch ignorieren kann? Dafür habe ich in meinem Herzen gesucht, wie mein Job und meine Wohnung und meine Freunde und Verwandten in Deutschland für eine nachvollziehbare Begründung dafür herhalten können, dass ich wirklich im April 2014 noch in Deutschland „ansässig“ war? Grrr.
Was tatsächlich kommt, ist – Anfang Dezember 2015 – eine (vermutlich vollautomatisch erstellte und verschickte) Rechnung über meine Steuer fürs Steuerjahr 2014/15 sowie die daraus berechnete Vorauszahlung fürs nächste Steuerjahr (die Hälfte davon fällig zusammen mit der Steuer fürs Vorjahr) – bis auf den Penny genau der Betrag, den das Steuerprogramm berechnet hatte. Fällig Ende Januar 2016. Da ich das Geld so lange wie möglich noch auf dem Sparkonto liegen lassen will, um die null-Komma-irgendwas Prozent an Zinsen später mal für eine große Portion Popcorn im Kino auf den Kopf hauen zu können, bekomme ich bis Ende Januar dann noch zwei SMS mit Erinnerungen an die baldige Fälligkeit, bevor ich den Gesamtbetrag in der letzten Januarwoche endlich fristgerecht überweise.
Und das war’s. Mehr wird da nicht mehr kommen. Ich werde (wahrscheinlich) nie erfahren, ob ich meine englische Steuererklärung richtig gemacht habe. Computer says Yes. Das muss reichen.
Deutschland
In Deutschland, auf der anderen Seite, läuft alles seinen gewohnten Gang – abgesehen davon, dass ich bis Ende November nichts vom deutschen Finanzamt gehört hatte, und soo kompliziert ist meine zugegebenermaßen nicht komplett reguläre Steuersituation 2014 nun doch nicht gewesen, dass meine Steuererklärung zu dem einen vom Finanzamt angestellten Fachmann in ganz Deutschland geleitet werden müsste, der sich um die Besonderen Fälle kümmern muss.
Also rufe ich an – Ende November. Und erfahre, dass mein Steuerbescheid in der Warteschleife feststeckt, weil man darauf warte, dass ich eine Antwort auf eine vor Monaten gestellte Rückfrage gäbe. Die Rückfrage war per Briefpost nach „Coventry CVX 8JB“ geschickt worden. Das ist blöderweise nicht unsere tatsächliche Postleitzahl, sondern ein paar Straßen weiter, und obwohl Royal Mail offenbar an guten Tagen in der Lage ist, Briefe zuzustellen, auch wenn sie nur nach „England“ adressiert sind, wurde der an mich gerichtete Brief mit der vertippfehlerten Postleitzahl offenbar irgendwo in einen großen Schredder für nichtzustellbare Post geworfen – oder vielleicht einer (nachvollziehbarerweise) verwirrten englischen Person in den Briefschlitz, die sich jetzt fragt, was um alles in der Welt das deutsche Finanzamt von ihr will und ob sie wohl jemals wieder nach Deutschland einreisen kann.
… was mich, abgesehen von allem anderen, zum Grübeln bringt, durch welchen Prozess wohl ein Tippfehler in meine Adresse gelangen konnte. Denn auf dem elektronischen Mantelbogen der von mir eingereichten Steuererklärung ist die Postleitzahl natürlich richtig. Die falsche Postleitzahl ist aber phonetisch nahe genug an der richtigen, dass ich mir vorstellen könnte, dass irgendwer im Finanzamt sie quer über den Schreibtisch jemand anderem zugerufen hat und dabei falsch verstanden wurde. Hmm. Mein erster in England empfangener Steuerbescheid (für 2013) war handschriftlich im Adressfenster adressiert worden. Hmm.
Wie dem auch sei – nachgefragt worden war, wo denn meine „ausländischen Einkünfte“ belegt wären. Meine „ausländischen Einkünfte“ allerdings sind, wohlgemerkt, mein Gehalt von meiner deutschen Firma. Ich arbeite ja in England. (Meine Arbeit besteht darin, darüber nachzudenken, welche Tasten ich in welcher Reihenfolge drücken muss, damit die Kunden meines Arbeitgebers willens sind, Geld dafür auszugeben.) England ist „Ausland“. Meine „ausländischen Einkünfte“ sind mein Einkommen aus meiner Arbeit in England für meinen deutschen Arbeitgeber.
Das erkläre ich der Dame vom deutschen Finanzamt am Telefon, und das nimmt sie ohne Widerspruch hin. (Kopien meiner deutschen Gehaltsabrechnungsbögen hatte ich schon beigelegt gehabt.) Soweit, so gut. Offenbar habe ich mir das richtig ausgedacht. Yay!
Zwei Wochen später bekomme ich meine Originalbelege per Post vom deutschen Finanzamt zurück. (Ironischerweise mit dem kategorischen Hinweis, ich möge doch bitte von telefonischen Nachfragen absehen, um den „zügigen Arbeitsablauf“ nicht zu gefährden. Haha. Das hatte zuletzt ja hervorragend geklappt.)
Mitte Dezember bekomme ich dann, endlich, meinen Steuerbescheid aus Deutschland. Ich bekomme ein bisschen Steuer zurückgezahlt, allerdings nur ein Bruchteil von dem, was mir ElsterFormular berechnet hatte. Das will ich nicht einfach so hinnehmen, und verstehen tu ich’s nach Lektüre der opaken Textmauer im Steuerbescheid auch nicht, also rufe ich mal beim Finanzamt an. Wieder mal.
Die Dame am Telefon – nicht die, die meinen Bescheid bearbeitet hatte, aber immerhin eine Fachfrau – bestätigt mir meine Vermutung über das, was passiert ist: Meine als „haushaltsnahe Dienstleistung“ eingereichte Umzugsrechnung von Frankfurt nach Coventry (in Höhe von immerhin fast anderthalb tausend Euro) wurde als „Werbungskosten“ uminterpretiert und ist somit in meiner ansonsten abgesehen von ein paar Kilometern „Fahrt zu Arbeit“ fast ungenutzten Werbungskostenpauschale so gut wie untergegangen.
Nur … das ist falsch. Umzugskosten sind Werbungskosten, wenn ich den Umzug um meiner Arbeit willen durchführe. Aber meinen Umzug habe ich um Judiths Arbeit willen durchgeführt.
Also: Brief geschrieben, Einspruch erhoben, Speditionsbeleg nochmal beigelegt. Kaum einen Monat später – heute nämlich – bekomme ich einen geänderten Einkommensteuerbescheid mit ein paar hundert Euro Differenz an Steuerrückzahlung zu meinen Gunsten. Womit auch das sein gutes Ende gefunden hat. Was lange währt, und so.
tl;dr
Ich habe offenbar alles richtig gemacht. Oder zumindest nachvollziehbar plausibel genug, dass es akzeptiert wurde. Wobei ich das bei der englischen Finanzbehörde mit abschließender Sicherheit höchstens – und frühestens – dann mit abschließender Sicherheit sagen können werde, wenn tatsächlich irgendwann mal ein Mensch auf meine Steuererklärung schaut. Was, vermutlich, nie passieren wird.
Immerhin habe ich das deutsche Finanzamt zufrieden gestellt, und das ist ja auch schon irgendwie eine Leistung.