[Mych] Das ist kein normaler Wanderweg. Wir steigen über Schotter und Geröllbrocken; bergauf, immer nur bergauf. Fast anderthalb Kilometer in der Vertikalen über eine Wegstrecke von nur gut acht Kilometern.
Ben Nevis ragt 1344 Meter in den Himmel und ist der höchste Berg Schottlands – tatsächlich sogar auf der ganzen Insel. Und wer ihn besteigen will, beginnt ganz unten, fast auf Meereshöhe; das Besucherzentrum liegt auf 17 Metern über Normalnull. Dort haben wir auch unsere Göffel gekauft, die wir brauchen, um den Joghurt in unserem Lunchpaket zu verzehren, das wir aus dem letzten Hotel mitgenommen haben.
Der erste Teil der Strecke ist fast flach, von ein paar Stufen abgesehen. Wir wandern unter einer geschlossenen Wolkendecke; es nieselt. Und wir sind bei Weitem nicht die einzigen, die hier heute unterwegs sind – auf der Touristenroute, die eigentlich heute gar nicht mehr so genannt wird, weil das zu harmlos klang, sind heute hunderte von Leuten unterwegs. Fast alle sind so vernünftig gekleidet wir wir: wasserfeste Jacke, warme Kleidung, feste Schuhe. Unten hat es etwa 14°C, und oben sollen es fast zehn Grad weniger sein. Wind dazu, und es wird ungemütlich.
Kälte ist aber erstmal nicht unser Problem. Unsere Rucksäcke, unsere Funktionsklamotten und uns selbst den steilen und unebenen Weg hochzuwuchten bringt uns so zum Schwitzen, dass mein Pulli getrost verstaut bleiben kann. Die ersten zwei Schlucke aus dem Trinkschlauch, der in meinen Rucksack führt, sind immer angenehm kühl – danach kommt die warme Brühe, die die Abwärme aus meinem Rücken in der Wasserblase produziert hat.
Die Vegetation wird kärglicher, und wir treten in die Wolkendecke ein, die heute auf etwa 700 Metern hängt und den Blick auf den Gipfel verwehrt. Unsere Sicht reicht jetzt höchstens noch fünfzig Meter. Alles, was weiter weg ist, ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Der Nieselregen ist jetzt kontinuierlich und kommt von allen Seiten. Der Weg zickzackt sich nach oben. An den Kehren sind mannshohe Steinhaufen aufgeschichtet, damit niemand ins Geröllfeld jenseits des Pfads verloren geht. Wir gehen langsam, aber trotzdem noch schneller als manche andere Wanderer, die wir treffen. Ein paar Mal werden wir selbst überholt – einmal von einem Mann in Fahrradklamotten, der mit seinem Rad auf der Schulter den Weg nach oben joggt. Der Wanderer, der uns in diesem Moment von oben entgegen kommt, schaut ihm hinterher, als hätte er ein Gespenst gesehen.
Kurz vor dem Gipfel wird der Weg wieder flach. Das Gelände um uns herum besteht jetzt nur noch aus metergroßen, grauen Felsbrocken. Auf dem eigentlichen Weg liegt eine uneinheitliche Mischung aus faust- bis kopfgroßen, kantigen Schotterstücken. Wir kommen an etwas vorbei, was wie die Grundmauern eines kleinen Hauses aussieht, kniehoch aufgeschichtet aus den Steinen, die überall herumliegen. Vielleicht ist das die Ruine des „Temperance Hotel“, das zwei junge Damen um 1910 herum da oben eröffnet hatten. Ein paar Schritte weiter stoßen wir auf einen übermannshohen, von Menschenhand aufgeschichteten Steinhügel, dessen Spitze aus einem winzigen Holzhüttchen besteht: Das ist sicher der Turm des meteorologischen Beobachtungspostens, der 1884 dort errichtet worden war. Endlich sind wir angekommen.
Wir suchen uns einen Felsbrocken zum Sitzen, verzehren den Rest unserer Sandwichs samt der Salz-und-Essig-Chips und göffeln genussvoll den Joghurt, den man uns mit in die Pappbox gepackt hat. Uns zieht der Geruch von Gegrilltem an der Nase vorbei: Ein paar junge Männer haben nicht weit entfernt einen Mini-Alu-Einmalgrill auf ein paar Steine gelegt und braten sich dort Würstchen. Danach machen wir uns ein paar Notizen über Wind und Wolkendecke für den Ben-Nevis-Earthcache und machen uns auf die Suche nach Britanniens höchstem Geocache. Die Suche führt uns hundert Meter ins Geröllfeld hinein, aber die grüne Metallbox kann sich nicht lange zwischen den Felsbrocken verbergen.
Es wird schnell kalt, wenn man sich nicht bewegt – die Lufttemperatur ist gefühlt knapp unter null, und unsere Kleidung unter der Jacke ist völlig durchgeschwitzt. Wir machen uns auf den Rückweg.
Als wir auf dem Weg nach unten aus der Wolkendecke herauskommen, haben wir plötzlich einen fantastischen Blick auf den kleinen See auf halber Höhe, der es sich auf dem Sattel zwischen dem Ben und einem kleineren Nachbarberg eingerichtet hat. Im Tal, auf Meereshöhe, badet die Sonne ganze Dörfer in hellem Sonnenschein.
Der Weg den Berg hinab ist nicht mehr so anstrengend, aber er geht auf die Knie. Je weiter wir nach unten kommen, desto häufiger passieren wir Leute, die sich nur noch mit größter Mühe die teilweise kniehohen Felsstufen herunterwuchten können.
Sechseinhalb Stunden, nachdem wir aufgebrochen sind, sind wir wieder zurück auf dem Parkplatz beim Besucherzentrum. Als ich meine Jacke ausziehe, finde ich das Oberteil meiner Skiunterwäsche und das T-Shirt darüber klatschnass. Dreieinhalb Stunden haben wir für den Aufstieg gebraucht, zweieinhalb für den Abstieg; die Prognosen hatten bei sieben bis acht Stunden gelegen – wir sind zufrieden. Das Bier heute Abend haben wir uns redlich verdient.
[…] werfen uns in matschkompatible Klamotte und packen die Rucksäcke – etwas leichter als vorgestern, denn heute wollen wir auf mehr oder weniger gleichem Niveau bleiben. Man könnte da sicher auch […]
Respekt. Wieder ein toller Bericht. Nur durchs lesen kommt man schon ins Schwitzen. Wir waren vor rund 6Wochen lediglich mit der Gondel auf der Nevis Range.