[Mych] Wir brechen früh auf. Edinburgh ist eine interessante Stadt, aber wir können in der verfügbaren Zeit jetzt auf unserem Rückweg ohnehin kaum ein Zehntel davon sehen. Irgendwann kommen wir wieder, versprochen.
Unser einziger Zwischenstopp heute auf dem Weg gen Süden soll Alnwick Castle sein. Diese Burg als „gut erhalten“ zu bezeichnen täte ihr Unrecht; sie ist in perfektem Zustand, denn sie dient ihren Eigentümern nach wie vor als Alltagswohnsitz. Naja, nicht im Sommer natürlich, denn dann sind die Percys alle auf ihrem Sommersitz.
Sommers werden hier Filme gedreht – nicht zuletzt Harry Potter – und es darf sich die Öffentlichkeit die Burg anschauen. Der Komplex ist riesig. Viele Türen sind verschlossen und als „privat“ markiert, aber es gibt eine Reihe von Ausstellungen mit militärischem Hintergrund, eine ganze Reihe von Programmangeboten, und man darf sogar in die Wohngemächer Einblick nehmen. Dort drin sind überall Angestellte präsent, die ein wachsames Auge auf die Besucher haben, aber auch freundlich auf Details der Möbel und anderen Gegenstände aufmerksam machen, die man sonst vielleicht übersehen würde.
Die Bibliothek haut mich vom Hocker. Ein Raum mit riesigen Fenstern, zwei Etagen hoch. An den Wänden: Regale voller elegant eingebundener Bücher, vom Boden bis unter die Decke. Auf mittlerer Höhe des Raums ist ein schmaler Balkon. Man kann nur die Mitte des Raumes betreten – der Rest ist mit einer schweren Kordel abgesperrt. An einem Ende des Raums befindet sich ein moderner Flachbildfernseher mit gewaltiger Bilddiagonale. Schräg gegenüber sind verschiedene Möbel gegen die Wand gerückt worden, darunter ein Kicker. Die moderne Einrichtung ist ein Kontrast zur altehrwürdigen und fügt sich zugleich ganz natürlich in sie ein – ja, hier wohnt jemand.
Wir hatten unseren Besuch in Alnwick mit einem Multi-Cache begonnen, der uns an einigen Sehenswürdigkeiten dieser charmanten kleinen mittelalterlichen Stadt vorbei geführt hat. Den holen wir uns jetzt, bevor wir weiterfahren.
(Auf unserem Weg durch Alnwick waren wir an zwei jungen Frauen vorbei gekommen, die sich fröhlich, aber mit einigen Schwierigkeiten bergauf mühten, denn eine von ihnen hatte ihren Fuß im Verband und nur eine Art Rollator als Hilfe. Wir boten unsere Unterstützung an, die dankend abgelehnt wurde, und plauderten ein Weilchen nett mit den beiden. Zuletzt stellten sie sich als Mormonen vor und wollten uns dazu animieren, uns mal ein paar Videos auf der Website ihrer Kirche anzuschauen. Ich weiß immer noch nicht, wie ich in einem ansonsten netten Gespräch freundlich ausdrücken soll, dass ich überhaupt keine Neigung habe, mit einer Fünf-Minuten-Bekanntschaft über meine Lebensphilosophie zu diskutieren.)
Gute anderthalb Stunden später sind wir an unserem heutigen Ziel angekommen: Saltburn-by-the-Sea.
Ursprünglich hatten wir gehofft, in York unseren heutigen Stopp machen zu können, aber das erwies sich als unbezahlbar; daraufhin hatte ich, nur mit Wikipedia zur Seite, Hartlepool als potenziell nettes Örtchen identifiziert und sogar schon ein Hotel gebucht, aber unser Freund/Verwandter aus London hob nur die Augenbrauen, als wir davon erzählten. Von ihm ist der Vorschlag, statt dessen nach Saltburn zu gehen. Wir werden so wohl nie rausfinden, ob die beiden Kühltürme mitten in einer Stadt, die wir von der Schnellstraße aus gesehen haben, zu Hartlepool gehören oder nicht; vielleicht besser so.
Wir wohnen heute Nacht im Spa Hotel, von dessen Parkplatz aus man die wilde Brandung der Nordsee unten am Strand sehen kann. Es windet heftig. Jane, die Dame vom Empfang, führt uns durch verwinkelte Gänge an ein paar gemütlich wirkenden Couch-Ecken vorbei und über mehrere Treppenaufgänge zu unserem Zimmer. Sogar von dort aus haben wir einen Blick auf die Brandung und die roten Klippen, die den Sandstrand nach Süden hin begrenzen.
Wir sind am späten Nachmittag angekommen und haben noch eine Menge Zeit. Unser Hotel ist ungefähr auf Höhe der oberen Station des viktorianischen Cliff Lifts. Ein Pfund pro Person kostet es, damit die paar Dutzend Meter Höhenunterschied zum Strand zu überwinden – das gönnen wir uns. Nachdem wir eingestiegen sind und die Türen von der Dame an der oberen Station geschlossen wurden, wird mit gewaltigem Rauschen ein Wassertank an unserem Wagen gefüllt, und er setzt sich angesichts seines so gestiegenen Gewichts gemächlich nach unten in Bewegung, während ihm der gegenläufige Wagen von unten entgegen kommt.
Unten gehen wir bis zum Ende des Piers, der bei der Talstation des Klippenlifts beginnt – der Wind ist erklecklich; Judiths neuer Tweed-Hut, den sie in Dunvegan gekauft hatte, sitzt sicher auf ihrem Kopf, aber ich muss meinen sichern –, schlendern wir am Strand entlang, und finden ein Restaurant mit wunderschönem Blick auf die wilde See, in dem wir zum Abschluss unseres Urlaubs nochmal richtig schön Meeresfrüchte essen können, bevor wir morgen wieder zurück ins Inland fahren müssen.