Island: Über Snæfellsjökull in den Schatten des Grábrók

[Mych] Reykjavik hat eine rauhe Ästhetik, denke ich mir, als ich um sechs Uhr morgens über die rostige Betonarmierung des Gebäudes gegenüber auf den namenlosen Berg jenseits der Bucht blicke, der so wirkt, als würde er gerade frisch von der zurückweichenden Wolkendecke für den kommenden Tag geformt. Wir haben gut geschlafen, und das Wetter verspricht, schön zu werden.

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Wir verlassen Reykjavik gen Nordosten und unterqueren den Hvalfjörður – den Wal-Fjord – in einem Tunnel, der uns direkt ins Zentrum der Erde zu führen scheint: Ein in den rohen Fels gehauenes Loch verschluckt die beiden Fahrspuren der Straße. Wir fahren fast drei Kilometer lang in die Erde hinunter, bevor es – noch steiler – wieder bergauf geht. Der Fjord ist an dieser Stelle nur knapp vierzig Meter tief, aber der Tunnel unterquert ihn in 165 Metern Tiefe unter dem Wasserspiegel.

Unser erstes Ziel des Tages ist der Djupalonssandur, ein Vulkanstrand in der südwestlichsten Ecke des Snæfellsjökull-Nationalparks. Wir biegen von der nur dünn befahrenen Ringstraße ab in Richtung Nordwesten. Viel Verkehr gibt es hier ohnehin nicht, aber abseits der Ringstraße sehen wir die meiste Zeit gar kein anderes Auto vor oder hinter uns. Die nationale Höchstgeschwindigkeit ist 90 km/h auf den besser befestigten Straßen; selbst ohne Tempomat habe ich das Motorgeräusch bald gut genug im Ohr, um nur noch sporadisch auf den Tacho schauen zu müssen.

Die Umgebung ändert sich, als wir in den Nationalpark einfahren – zwei Schilder, links und rechts neben der Straße, begrüßen uns in Isländisch und in Englisch. Wir fahren in eine Mondlandschaft aus mannsgroßen, von Moos überwachsenen Gesteinsbrocken auf beiden Seiten der Straße. Als wir ein paar Kilometer in das Gebiet eingedrungen sind, sehen wir zwei kuriose Gesteinspfeiler in der Entfernung in Richtung Küste: Lóndrangar werden sie genannt, und der Sage nach saß seinerzeit ein Troll auf dem größeren der beiden und unterhielt sich mit vorbei wandernden Menschen.

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Schließlich sind wir beim Djupalonssandur angelangt. Der Weg hinab zum Strand führt durch einen hohlen Weg zwischen rauhen Felsen.

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Seinerzeit war der Strand ein blühender Standort der Fischerei; die jungen Männer, die sich um einen Platz auf einem der Boote bewerben wollten, mussten ihre Eignung beweisen, indem sie einen von vier Steinen auf ein hüfthohes Podest hoben: ein Ganzstarker schaffte den 154-kg-Brocken; ein Halbstarker immerhin noch den mit 100 kg; ein Brauchbarer konnte wenigstens noch die 54 kg anheben – der kleinste Stein, mit 23 kg, qualifizierte nur als Schwächling, der auf einem Fischerboot nichts verloren hatte.

Der Strand selbst ist übersät mit runden Kieseln und verrosteten Metallfragmenten, die vom englischen Trawler Epine stammen, der vor einem halben Jahrhundert vor der Küste in Seenot geraten und vom Sturm zerschmettert worden war.

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Wir gehen einen schmalen Pfad hoch, weg vom Strand, über faustgroße Fragmente von Vulkangestein, und finden schließlich ein Labyrinth mitten in einem Blaubeerfeld. Fischersleute haben es wahrscheinlich angelegt.

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Wir fahren zurück, wieder aus dem Nationalpark heraus, und in Richtung des Grábrók-Vulkangipfels, in dessen Nähe unser Hotel für die Nacht sein wird.

Bevor wir dort hin fahren, machen wir aber noch einen Abstecher zu den Hraunfossar-Wasserfällen. Auf einer Länge von mehr als einem halben Kilometer strömt dort Wasser aus der Felswand direkt in den wilden Hvítá, nachdem es einen guten Kilometer flussaufwärts im porösen Lavagestein versickert war.

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Unser Hotel für die heutige Nacht liegt am Fuß des Grábrók-Vulkangipfels, der pechschwarz in die Höhe ragt. Den werden wir morgen früh besteigen.

Island: Über Snæfellsjökull in den Schatten des Grábrók

Island: Reykjavik

[Maus] Ich bin platt. Nach einem Wochenende, das schöner nicht hätte erträumt werden können, ging es heute in aller Frühe los in Richtung Island.

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Wir haben uns die Saga Class gegönnt und sind mit Beinfreiheit, leckerem Frühstück, Decke, Kissen und einem einzigen weiteren Fluggast in unserer Klasse geflogen. Völlig tiefenentspannt sind wir in Kevlavik gelandet und haben unseren Mietwagen am Flughafen abgeholt; ein silberfarbener Škoda Fabia. Dem aufmerksamen Leser unseres Blogs fällt natürlich sofort auf, dass wir dieses Auto auch schon in England gefahren haben.

Die Fahrt nach Reykjavik übernimmt Michael. Die Straße führt durch eine Mondlandschaft ohne Bäume. Auf halber Strecke entdecken wir Strukturen, die aussehen, als hätte die Erde Blasen geschlagen. Wahrscheinlich ist genau das passiert. Nach einer guten Dreiviertelstunde kommen wir in unserem Hotel an und haben eigentlich noch drei Stunden bis zum Check-in. Man gibt uns einfach ein Zimmer, das schon aufgeräumt ist. Da wir inzwischen trotz Frühstück im Flugzeug hungrig sind, beschließen wir, im Restaurant nebenan zu Mittag zu essen.

Der Tag ist noch jung, und obwohl wir beide müde sind, ziehen wir nach unserer Stärkung los, um die Stadt zu erkunden. Es zieht uns zunächst an den noch ursprünglichen Strand von Reykjavik, von dem aus man einen guten Blick auf den Hafen hat. Hier befindet sich außerdem das Sigurjón Ólafsson Museum, um das herum lauter Skulpturen stehen. Überhaupt findet man in Reykjavik viele Skulpturen. Man könnte vermutlich den ganzen Tag damit zubringen, Skulpturen anzuschauen.

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In der Ferne entdecken wir die Harpa und schlendern am Wasser entlang darauf zu, lassen uns treiben und genießen die Seeluft. Der Landnámssýningin (The Settlement Exhibition Reykjavík 871±2) statten wir einen Besuch ab, zum Vergleich mit dem Jorvik Discovery Centre in York. Im Keller hat man vor ein paar Jahren bei Ausgrabungen die Überreste einer Siedlung aus der Wikingerzeit entdeckt. Durchaus interessant, aber die Ausstellung is klein und unaufgeregt. Verglichen mit Jorvik ist es nur so lala.

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Wir gönnen uns am Hafen einen Kaffi und dazu Möhrenkuchen und spüren deutlich, wie sich Erschöpfung breit macht. Doch das ignorieren wir und weiter geht es mit der Erkundungstour. Die führt uns zur Kathedrale, die sehr schlicht, aber trotzdem beeindruckend ist. Dort machen wir unsere leichteste Turmbesteigung mit, nämlich per Lift. Von dort oben hat man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und die vielen bunten Häuschen. Doch die Erschöpfung lässt sich nun kaum mehr abschütteln und wir kehren ins Hotel zurück mit der Idee, später noch einmal in das Stadtzentrum zum Abendessen zurückzukehren.

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Tja, nach einem Stündchen Augenausruhen ist das Abendessen gestrichen. Wir gehen heute nirgends mehr hin. Außer vielleicht in die Lobby, um was zu Knabbern zu holen. Morgen, wenn wir wieder frisch sind, arbeiten wir an den Abenteuern.

Island: Reykjavik

Gepäck

[Mych] Ich hoffe, die Kombination aus vier Flaschen Wein, einer Wanduhr und einer Heizdecke, die ich gerade in mein (Nicht-Hand-)Gepäck gepackt habe, hält am Flughafen beim Durchleuchten niemand für ’ne Zeitbombe …

Die Weine sind übrigens ein Lauffener Katzenbeißer Spätburgunder vom Kaiserstuhl, ein Cabernet Sauvignon und ein Zinfandel von der Gallo Family aus Kalifornien und ein, ähm, Domina aus Franken. Sag keiner, dass man sich beim Rotweinkaufen nicht amüsieren darf.

Gepäck

Ich bin allein…

[Maus] Sonntag ist Ausschlafen angesagt und so sind wir erst spät aufgestanden. Da die Sonne schien, mussten wir aber auf jeden Fall noch mal raus und da bot es sich an, die Geocaches in unmittelbarer Nähe aufzusuchen. Abgesehen davon, dass wir die Geocaches nicht gefunden haben, waren wir nach der Suche richtig schön eingesaut. Sämtliche Wiesen sind geflutet und ausgerechnet die beiden auserwählten Geocaches führten über Wiesen. Viel schlimmer aber ist die Tatsache, dass hier offenbar viele unkreative Geocacher unterwegs sind. Wir werden wohl die nächsten zwei Jahre dazu nutzen mal ein wenig Schwung in die Gegend zu bringen.

Mit meinen eingedreckten Schuhen und Hosen habe ich dann Michael zum Bahnhof Coventry gebracht, der fußläufig erstaunlich gut und schnell zu erreichen ist. Das Taxi ist also nur bei Regen angesagt. Michael hat dann dort noch einen der Fast Ticket Automaten ausprobiert. Wie wir jetzt wissen, sind die Virgin trains günstiger (£1,50) als die anderen (£2,20). Kauft man ein Ticket für £2,20 kann man sich allerdings aussuchen, welchen Zug man nehmen möchte (Virgin trains inklusive). Wenn man den Fahrplan kennt, gibt es die Möglichkeit zu sparen.

Nachdem ich Michael hinterhergewunken hatte, setzte ich meinen Plan, mir eine Travelcard zu kaufen, in die Tat um. Mit dieser personalisierten Monatskarte (es ist ein Foto von mir drauf) kann ich nun einen Monat lang alle Busse in Coventry nutzen. Da spare ich erstens Geld und außerdem muss ich mir nicht jedes Mal eine Fahrkarte kaufen. Auf der Website schrieb der National Express, dass man passend bezahlen soll. Auch wieder so eine Merkwürdigkeit. Haben hier alle immer ganz viel Kleingeld in der Tasche? Mein Portomonnaie ist ungefähr ein Kilo schwer, weil ich £5 in kleinen Münzen darin aufbewahre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kartenbezahler-Engländer passendes Kleingeld in den Taschen haben. Notiz an mich selbst: Portomonnaie mit großem Kleingeldfach kaufen, vielleicht im Trolley-Format.

Mein Garmin 550t führte mich durch einen Teil von Coventry, den ich an diesem Wochenende noch gar nicht gesehen hatte. In diesem Teil der Stadt sind scheinbar alle Studenten untergebracht, denn an jedem Haus stand irgendein Hinweis für Studenten dran; rooms for students, students bar, students grocery, flats to let for students only. Nach einem Fußmarsch von geschätzten 15 Minuten (vom Bahnhof) kam ich zu dem Laden, der die Travelcards verkauft. Ich wurde damit überrascht, dass der Verkäufer ein Foto von mir haben wollte. Glücklicherweise hatte ich noch eines im Portomonnaie, dass ich noch von der Beantragung meines Reisepasses hatte.

Auf dem Weg zurück nach Hause entdeckte ich das „Zentrum“ von Earlsdon (der Stadtteil, in dem ich hier wohne). Eigentlich kann man da auch alles bekommen, was man für den täglichen Bedarf braucht. Die Bürgersteige bleiben am Wochenende jedoch zumeist hochgeklappt. Auf meiner Wanderung habe ich auch noch einen tollen Barber-Shop entdeckt (Foto in der Galerie). Ich lasse jetzt noch den Abend ausklingen und freue mich auf meinen ersten Arbeitstag.

Ich bin allein…

There and back again

[Maus] Ach ja, viel zu tun im neuen Zuhause. Aber zunächst einmal will ich von meiner Reise berichten. Wie Michael schon beschrieben hat, bin ich mit einem 22,6 kg schweren Koffer und einem prall gefüllten Rucksack angereist. So langsam stelle ich auch fest, was hier alles nützlich gewesen wäre. Ein scharfes Messer zum Beispiel. Aber davon später mehr. Mein Flug war im Durchschnitt recht angenehm, aber 10 Minuten nach Abflug gab es einen gewaltigen Ruck, der einige meiner wenigen Mitreisenden hörbar erschreckte. Ich klammerte mich einige Sekunden an meinen Armlehnen fest und konnte ein leises Aufstöhnen, als meine Zähne aufeinander schlugen, nicht mehr unterdrücken. Glücklicherweise war dieser Augenblick so schneller vorbei als eine Achterbahnfahrt, und ich wurde nur noch ab und an leicht durch gerüttelt. Als ich bei ruhigerer Wetterlage mein Portomonnaie aus meiner Jackentasche holen wollte, war mein gesamter Kram bis ans andere Ende des Faches gerutscht. Wäre der Flieger voll gewesen, wäre das nicht passiert.

Bei der Landung gab es auch noch mal eine Schrecksekunde. In dem Augenblick als ich den Boden erblicken konnte, setzte das Flugzeug schon auf. Der reinste Suppenkessel in Birmingham und das Wetter … Micha hat ja schon davon berichtet.

Beim Einrichten in meiner vorübergehenden Unterkunft sind mir gleich am ersten Abend eine Menge Dinge aufgefallen, die nicht meinem deutschen Standard entsprechen. Das Schlimmste für mich ist der Dreck. Eigentlich ist es nicht furchtbar dreckig, aber es ist nicht mein Dreck. Also mussten wir am ersten Nachmittag zunächst mal Putzmittel kaufen und ich habe ein wenig den Kalk weg geschrubbt. Aber wir hatten auch noch eine Minzepflanze mit etwas mehr als drei Blättern hier herumstehen und eine Plastikflasche mit abgeschnittenem Hals, aber ohne erkennbare Funktion. Ach ja, den Kühlschrank habe ich einmal gründlich ausgewischt.

Hier ist es auch staubig. Die Wollmäuse hängen hier von der Decke herunter. Dieses Problem werde ich im Laufe der nächsten Tage lösen. Vielleicht stelle ich eine Wollmausfalle auf. Mal sehen. Es ist hier auch ziemlich kühl. Ich habe hier in der Wohnung immer zwei Pullover an und kuschelige Hausschuhe. Wenn man sich einige Bewohner dieser Gegend anschaut, muss man sich auch nicht über diese unterkühlte Unterkunft wundern. Am Flughafen habe ich jemanden in kurzer Hose und ohne Schuhe gesehen. Als Einzelfall betrachtet, könnte man meinen, es war ein Verrückter unterwegs, aber ich habe hier in Coventry schon drei Herren ohne Jacken und nur im T-Shirt angetroffen. Ich gewöhne mich ja vielleicht noch an das Seeklima.

Heute wollten wir dann extra früh aufstehen, damit wir genug Zeit für alle anstehenden Erledigungen haben. Ich war schon vor dem Weckerklingeln wach, weil unsere Mitbewohner offenbar schon aus den Federn gesprungen waren. Es ist hier sehr hellhörig. Gestern konnten wir zuhören, wie eine junge Frau ziemlich lange telefoniert hat. Ich glaube, sie wohnt direkt über mir; ich habe sie Trampeltier getauft. Wahrscheinlich läuft sie ganz normal in ihrem Zimmer von einer Ecke in die andere, aber es klingt, als würde sie eine neue Choreographie einstudieren. Kurz nach dem Aufstehen wollte ich dann meine Kamera startklar machen. Nach der Formatierung der Karte wollte die Kamera diese dann nicht mehr erkennen. Mein erster kleiner Wutausbruch folgte. Das zweite Ärgernis des Tages ließ nicht lange auf sich warten. Die einzigen beiden Schüsseln in dieser Wohnung sind eigentlich zu klein für alles außer ein paar Nüsschen oder Gummibärchen. Wir wollten aber Porridge zum Frühstück essen. Solches, was man in der Mikrowelle zubereiten kann. Ein englisches Frühstück mit gebackenen Bohnen, Pilzen, Würstchen usw. werde ich mir hier auch nicht zubereiten können. Ich habe nur zwei Herdplatten, und aus einem mir nicht bekannten Grund schalten die sich jeweils nach 15 Minuten Benutzung aus. Ich rate mal ins Blaue hinein, dass es sich dabei um eine Sicherheitsabschaltung handelt, für den Fall, dass man vergessen hat, sie auszuschalten. Nervig ist das alle Mal, da das auch immer mit lautem Piepen angekündigt wird. Die Mikrowelle ist auch so ein nerviger Piepser. Alles wird mit Piepsen quittiert. Alles.

Nachdem ich das Kameraproblem auf später verschoben hatte, sind wir dann wieder ins Zentrum des „Dorfes“ marschiert. Ich brauchte ja ganz dringend eine englische Telefonnummer. Das Unkomplizierteste ist eine sogenannte „Pay as you go“ SIM Card. Auf Deutsch eine Prepaid-SIM-Karte. Komisch, dass der deutsche Begriff, obwohl er englisch ist, für mich mehr Sinn ergibt. Die SIM Card haben wir in einem T-Mobile/Orange/EE-Shop gekauft. Ich bekomme für £10 100 Minuten Telefonieren, 400 SMS und 1 GB Daten. Ein gutes Angebot.

Danach sind wir zu IKEA rüberspaziert. Hier ist alles nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Daher kommt wahrscheinlich auch unser Eindruck, bei Coventry handele es sich in Wahrheit um ein Dorf. Den Speckgürtel haben wir uns allerdings noch nicht angeschaut.  Angekommen im IKEA haben wir jeweils eine Portion „Swedish Meatballs“ verputzt. Schade, das die Dinger hier nicht auch Köttbullar heißen. Die Engländer mögen ja vielleicht kein ausländisch?  Ach ja, Kaffee haben wir auch getrunken, aber  eigentlich sah er weder danach aus, noch hatte er die Wirkung von Kaffee. Egal, wir müssen uns eben anpassen und vielleicht zu Tee wechseln, der darf nämlich so aussehen.

Gekauft haben wir dann: zwei Geschirrtücher (ich weiß nicht, wieso, aber sowas wurde hier in der Wohnung offenbar noch nie benutzt), zwei große Schüsseln für Porridge aus der Mikrowelle, zwei tiefe Teller (für Nudeln mit Tomatensoße, die es gestern von flachen Tellern gab) und zwei ordentlich große Kaffepötte (oh Kaffee wäre jetzt schön — Micha?). Unsere Einkäufe brachten wir nach Hause und nach einer kurzen Kaffeepause sind wir dann mal Richtung Uni losgezogen. Letztlich haben wir eine 10-km-Runde gedreht, bei der wir auch einen Abstecher zum Tesco Superstore gemacht haben.

Das Erlebnis des Tages war die Abkürzung, die wir auf dem Rückweg ausprobiert haben. Die führte uns am „Canley Ford“ entlang. Das Problem mit diesem wirklich zauberhaften Pfad war die Dunkelheit und das viele Wasser. Aber es war immerhin eine echte Abkürzung, die bei schönem Wetter sehr zu empfehlen ist.

There and back again

Landfall

[Mych] Der Flug aus Frankfurt ist ruhig — nur zwischendurch gibt’s zwei- oder dreimal für ein paar Minuten etwas Ruckelei. Die letzte halbe Stunde vor dem Landeanflug fliegen wir offenbar durch eine massive Nebelbank: gleichförmiges, diffuses Hellgrau in alle Richtungen, und das Flugzeug liegt so ruhig in der Luft, als sei es am Himmel festgenagelt. Erst Momente vor dem Aufsetzen kann ich schemenhaft Dinge auf dem Grund erkennen. Minuten später stehen wir am Gate und warten darauf, rausgelassen zu werden. Und ich weiß immer noch nicht, wie Birmingham von oben aussieht.

Hinter dem Ausgang wartet Judith schon auf mich. Ihr Flug aus Berlin war schon drei Stunden früher angekommen, und sie hat die Wartezeit irgendwie am Flughafen totgeschlagen. Gemeinsam gehen wir den Schildern nach in Richtung der „AirLink“-Verbindung zum Bahnhof, die sich als vollautomatisierte, unbemannte Einschienenbahn herausstellt. Die Fahrt dauert nur drei Minuten. Schade eigentlich; die Aufzugmusik da drin war so nett.

Am Bahnhof kauft Judith für uns beide Bahnfahrkarten nach Coventry — für ganze £2.20 pro Person; meine Nahverkehrsfahrkarte in Frankfurt zum Flughafen war teurer gewesen. Allerdings soll ja auch die Reise von Birmingham nach Coventry kürzer ausfallen als meine vom Stadtrand Frankfurt zum Flughafen Frankfurt. Ein Zug ist uns gerade vor der Nase weggefahren, aber der nächste kommt schon ein paar Minuten später. Judith wuchtet ihren knapp unter 23 Kilo schweren Rucksack-Trolley die steilen Einstiegsstufen hoch. Wir machen uns nicht die Mühe, uns Sitzplätze zu suchen; nicht für 9 Minuten Fahrtzeit.

Auch in Coventry regnet es in Strömen. Wir haben noch genug Zeit bis zum vereinbarten Treffen mit Judiths neuen Vermietern; unter anderen Umständen wären wir wahrscheinlich gelaufen, aber bei diesem Wetter nehmen wir lieber ein Taxi. Fragen tun sich auf: Sollten wir hierzulande in das Taxi am vorderen Ende der Schlange einsteigen? Und: Wo ist das vordere Ende der Taxischlange? Während wir noch mit unseren interkulturellen Unsicherheiten hadern, hupt uns der uns am nächsten stehende Taxifahrer an und bedeutet uns, einzusteigen. Ich suche sowas wie eine Kofferraumklappe am Heck des Fahrzeugs, aber vergebens: Das Taxi besteht aus einem Drittel Fahrerkabine, zwei Drittel Fahrgastraum (mit genug Platz für all unser Gepäck), und null Prozent Kofferraum.

Judith nennt die Adresse. Das Taxi vor uns in der Schlange und seine kompliziert einsteigenden Fahrgäste werden von unserem Fahrer mit routinierter Verärgerung kommentiert, dann umschifft er sie einfach und es geht los. Wegen der beschlagenen Scheiben im Fahrgastraum können wir gar nicht so viel nach draußen schauen, aber die Fahrt dauert auch nur wenige Minuten. Ich übergebe dem Fahrer eine £5-Note aus Judiths Geldbörse (inklusive Trinkgeld) durch die Durchreiche zur Fahrerkabine. Der Fahrer bedankt sich nett („Thank you very much indeed!„) und fährt im Regen davon.

Judith hat sich dem Wetter angemessen ausgestattet und hat eine regendichte Kapuze — ich habe meine natürlich zu Hause gelassen und flüchte in den winzigen, unverschlossenen Windfang des Hauses, das wir als das richtige ausgemacht haben. Es gibt keinen erkennbaren Klingelknopf, also klopfe ich laut gegen die Holztür. Nichts tut sich. Ich versuche es ein weiteres Mal. Judith kramt derweil die Rufnummer von Claire, ihrer Vermieterin, heraus und erreicht sie tatsächlich. Ein kurzes und etwas verwirrtes Telefonat entspannt sich, aber jedenfalls will Claire „in einer Minute“ da sein.

Es dauert länger als 60 Sekunden, aber tatsächlich taucht kurz darauf ein Minibus mit einer jungen Frau am Steuer auf, der in der Einfahrt hält. Was ich auf den ersten Blick für ein grünes Kopftuch halte, sind ihre Haare. Sie kommt uns mit einem freundlichen Grinsen entgegen, begrüßt uns fröhlich und schließt uns die Vordertüre auf.

Der enge, verwinkelte Flur führt an einer anderen Wohnungstür vorbei (offensichtlich des Appartments in Richtung Straße) und mündet in der Tür zu Judiths neuer Unterkunft. Während sie uns durchs Haus führt, entschuldigt sich Claire gut gelaunt für ihre staubigen Klamotten — sie käme gerade von der Baustelle eines anderen Hauses. Heute ziehen noch drei andere Leute bei ihr ein. Im Flur hängt ein ausgedruckter Zettel mit den Namen der Mietgäste, und Claire erzählt über jeden von ihnen ein bisschen was. In einer der Wohnungen in der oberen Etage wohnt der einzige Langzeitgast, Trevor, der übrigens in einem Chor singt.

Hinter Judiths Wohnungstür (die sie übrigens nicht abschließen soll, wenn sie weg geht, wegen der Feuerwehr) finden wir erstmal weitere anderthalb Meter Flur mit Kleiderhaken und der Tür zum Badezimmer. Claire steckt ihren bezopften Kopf ins Bad und freut sich, dass es tatsächlich gereinigt worden ist.

Durch die Tür am Ende des Mini-Flurs kommen wir dann endlich in den Schlaf-, Wohn-, Koch- und Essbereich: Ein Raum von ungefähr 20 Quadratmetern, die vorderen zwei Drittel mit dickem Teppichboden ausgelegt, das hintere Drittel (abtrennbar mit einem bodenlangen Vorhang) ist die Küche mit einem runden Esstisch in der Ecke. Im Wohnbereich steht ein breites Bett und eine Doppelcouch mit einem netten, niedrigen Couchtisch davor. Auf der Kommode auf der anderen Wandseite steht eine Blumenvase mit einem weißen synthetischen Blumenstrauß und ein possierlicher kleiner Flachbildfernseher von etwa DIN-A4-Ausmaßen. Direkt daneben lässt sich etwas erkennen, was wohl einmal ein Kamin gewesen sein muss, aber die davor geschraubte Pressspanplatte unterbindet weitere Benutzung. Ähnlicher handwerklicher Charme findet sich noch an einigen anderen Stellen in der Wohnung: Die Mittelbefestigung der Gardinenstange in der Mitte des Raums ist ein bisschen asymmetrisch mit einem unbehandelten Stück gehobelter Baumarktlatte mit drei Spaxen in die Decke geschraubt; und die weiße Wandbemalung der (mit einem Blumenmotiv texturierten) Tapete im Küchenbereich lässt ihre ursprüngliche Farbe — hellblau, wie im Wohnbereich — deutlich durchschimmern.

Claire weist auf den sehr schönen Ausblick durch die Terrassentür auf den Garten hin — naja, hm, sicherlich noch sehr viel schöner, wenn’s nicht gerade in Strömen regnet, gibt sie zu. Da steht seitlich eine kleine Holzbank, die bei besserem Wetter (und höheren Temperaturen) zum Verweilen einlädt. Auf dem Rasen befindet sich ein Klettergerüst aus bunt lackiertem Metallrohr und ein kleines Trampolin, in das jemand ein Loch gehüpft hat. Claire zaubert von irgendwoher den Papierkram hervor. Judiths Miete war schon zuvor vereinbart; mein Zusatzbeitrag sollte eigentlich £25 pro Woche betragen, aber da ich ja in diesem Monat nur an zwei Wochenenden da sein werde, ist Claire mit dem einfachen Betrag völlig zufrieden. Schlüssel werden übergeben — gegen £5 Schlüsselpfand, das wohl höchstens den schieren Wiederbeschaffungswert abdecken dürfte; offensichtlich verschwinden Schlüssel regelmäßig mal in alle Ecken der Welt, weil sie versehentlich von ausziehenden Mietern mitgenommen werden. Die gemeinsame Vordertür des Hauses darf nur zugezogen, nicht abgeschlossen werden, denn man kann den von außen verschlossenen Riegel von innen nicht öffnen. Gut zu wissen.

Die nächsten anderthalb Stunden verbringt Judith damit, ihren Koffer explodieren zu lassen. Nachdem die T-Shirts in der Vitrine deponiert sind (ein Kleiderschrank existiert nicht), der Fotokalender über dem Kamin aufgehängt wurde, die laut tickende elektrische Analoguhr zum Schweigen gebracht und das WLAN auf diversen Endgeräten eingerichtet wurde, fühlt sich die Wohnung schon fast wie ein Zuhause an.

Landfall