Heiter bis sonnig

[Maus] An diesem Wochenende war mal wieder Michael bei mir, und er hat mir einiges mitgebracht. Neben vier Flaschen Rotwein waren auch seine wasserdichten Stiefel dabei, die einem hier das Leben versüßen können. Es hat in den vergangenen zwei Wochen ja immer wieder mal geregnet, weswegen der Boden ziemlich matschig und die Pfützen kleine Seen sind. Mit den wasserdichten Stiefeln, die wir uns eigentlich mal für unsere Geocaching-Ausflüge gekauft haben, brauchen wir weder auf Matsch noch auf Pfützen achten, sondern können einfach losmarschieren. Bei dem herrlichen Sonnenschein an diesem Wochenende haben wir das natürlich auch getan. Normalerweise habe ich sonst nur zum Aufwachen und auf dem Weg zur Arbeit Sonne gehabt, was ja im Grunde genommen reicht, denn ich bin ja bis es dunkel wird im Institut. Aber dieses Wochenende war es fast durchgehend sonnig. 🙂

Heute waren wir im War Memorial Park, der ursprünglich mal an den ersten Weltkrieg erinnern sollte, aber nun auch den zweiten Weltkrieg mit einschließt. Dort lag ein riesiger umgestürzter Baum, der sich aufgrund seiner relativ oberflächlichen Verwurzelung, dem matschigen Boden und den stürmischen Tagen einfach nicht mehr halten konnte. Das war sehr beeindruckend. Offenbar handelte es sich hierbei um einen Flachwurzler. Ich schätze, das ist eine Fichte, aber Bäume sind mir ein Rätsel und ich rate nur wild herum.

Doch weiter zu den Dingen, die Michael aus seinem Koffer gezaubert hat. Ich habe jetzt ein kleines Heizkissen und eine wärmende Kamelhaardecke hier, die man sich praktischerweise auch noch zu einem aparten Überwurf zusammenknüppern kann. Außerdem ist es in meiner Bude überhaupt nicht mehr eisig. In dieser Woche wurde es ja jeden Tag ein wenig kühler, bis ich am Donnerstag Abend nur noch 17°C hatte und meinen eigenen Atem sehen konnte. Ich rief also kurzerhand John — meinen Vermieter — an, der gleich nebenan wohnt. Glücklicherweise wollte er schon in zwanzig Minuten rüber kommen. Doch eine Stunde später war er leider immer noch nicht da. Ich rief ein zweites Mal an und binnen 30 Sekunden war er da: ein freundlicher strubbeliger älterer Herr, der erstaunlich gut zu seiner chaotischen, aber freundlichen, Tochter Claire passt. Er brachte den Boiler wieder in Gang, und ich besorgte mir am Samstag für eventuelle zukünftige Ausfälle eine kleine Konvektionsheizung. Und nun ist es kuschelig warm.

Hier in Coventry habe ich noch keinen Laden gefunden, der Saturn oder Media Markt ähneln würde. Stattdessen habe ich einen Laden namens Argos gefunden. Dort habe ich meine Heizung gekauft — und das war echt spannend. Da gab es Computer und Kataloge, die dazu dienten, sich das gewünschte Produkt auszusuchen. Jedes Produkt hat eine Nummer, die man sich notiert und die man dann entweder an einer herkömmlichen Kasse, einem Cash-Automaten oder einem Kartenautomaten bezahlt oder zur Ansicht bestellt. Dann bekommt man eine Wartenummer und setzt sich in den Wartebereich bis die Nummer aufgerufen wird. Und das war es schon. Hat nur fünf Minuten gedauert und man wird kaum zu Impulsivkäufen animiert. Es steht ja nirgends etwas herum. Da ich Shopping ja eigentlich nicht besonders amüsant finde, ist dieser Laden wie für mich gemacht. Rein, bestellen, bezahlen, Artikel bekommen und wieder raus.

An diesem Wochenende konnten wir außerdem eine Menge nützlicher Dinge für Micha erledigen. Am Samstag war die erste Aufgabe, ein Konto für ihn zu eröffnen. Ich hatte ihm die Lloyds Bank vorgeschlagen, weil sie meine erste Wahl gewesen wäre und ich gern wissen wollte, ob sie tatsächlich für jeden, der seine Identität entsprechend nachweisen kann, ein Konto eröffnen. Ja, sie tun es — und unser freundlicher Bankberater versuchte mich auch gleich noch zu überreden, zu ihnen umzuziehen. Das werde ich tun, wenn mein erstes Gehalt auf meinem anderen Konto eingegangen ist.

Zweite Aufgabe: eine Pay-as-you-go-SIM für Micha. Eine extrem gelangweilte junge Frau gab ihm knappe Auskünfte über das, was er bekommen kann, schrieb ihm ein paar kryptische Ratschläge auf, und wir mussten dann erst einmal herausfinden, in welcher Reihenfolge alles geschehen sollte. Sie hatte uns auch gewarnt, alles in der richtigen Reihenfolge zu tun, da sonst ein Pfund von dem Top-Up-Betrag (ähnelt unseren Prepaid-Aufladungen) abgezogen wird und er dann den gewählten Tarif nicht nutzen kann. Nachdem wir alles wie beschrieben getan hatten, war das Pfund abgezogen. Wie wir später feststellten, waren wir zu schnell und hätten eine Bestätigung abwarten müssen. Top-Up geht nicht mit deutscher Kreditkarte, und daher hatten wir nun endlich einen Grund, mal mit dem Bus zu fahren — denn der einzige mir bekannte Laden, der zu dieser Uhrzeit noch geöffnet war, war der Tesco-Superstore an der Uni. Da haben wir Micha auch noch so ein kleines Billighandy, wie ich es für meine deutsche SIM-Karte habe, gekauft. Nun kann er endlich in England das Unterwegs-Internet nutzen.

Auf dem Rückweg sind wir dann ins City Arms gegangen. Das ist ein Pub hier in Earlsdon, das sehr gut besucht war. Micha holte für uns an der Bar ein Ale (für ihn), ein Cider (für mich) und bestellte uns zweimal prämierte Würstchen mit Kartoffelbrei, Erbsen und einer Zwiebel-Rotweinsoße. Man könnte sagen, alles zusammen für einen sagenhaft günstigen Preis (für englische Verhältnisse) und dazu auch noch richtig lecker. Die Unterhaltung gibt es gratis. Vor allem die Frauen sind eine Augenweide. 😀 Wer auch immer zu besucht kommt, wird uns wohl mal hierhin begleiten müssen.

Heiter bis sonnig

Laboralltag

[Maus] Ich möchte mal versuchen, meine ersten Eindrücke zu schildern. Die vergangene Woche war ja gefüllt mit Formularen und Dingen, die eigentlich nichts mit meiner Arbeit zu tun haben. Aber diese Woche läuft es endlich an. Ich habe tatsächlich jeden Tag irgendetwas im Labor getan.

Einer der Doktoranden soll angeblich am besten im Labor Bescheid wissen. Leider bedeutet das hier in England offenbar etwas anderes als in Deutschland. Er war mir bisher nur wenig behilflich, und ich kann mich noch nicht entscheiden, ob das aus purem Mutwillen so ist oder weil er es nicht besser weiß. Ich muss mir auf Grund seiner fehlenden Hilfe alles mühsam selbst zusammensuchen oder bei anderen erfragen.

Das wäre ja alles kein Problem, wenn die Dinge hier so gehandhabt würden, wie ich es bereits in zwei deutschen Unis kennengelernt habe. Es fängt schon bei so grundlegenden Dingen an wie z.B. der nicht vorhandenen Laborspülmaschine. Alles wird hier per Hand gespült — was mit Sicherheit auch mal dazu führt, dass man, bevor man anfangen kann, noch mal selbst ran muss. Da die Spülmaschine fehlt, ist man hier auf die glorreiche Idee gekommen, alles, was es als Wegwerfartikel zu kaufen gibt, auch zu benutzen. Selbst die Reagenzgläser sind hier aus Plastik und werden nach einmaligem Gebrauch entsorgt.

Das zweite große Problem ist für mich, dass ich momentan kein Gerät benutzen darf, bis ich vom Verantwortlichen ein Training bekommen habe. Keine Zentrifuge, keine French Press, keine Pumpen — nichts. Ich kann also momentan nichts allein machen, habe aber auch keine Ahnung, wer die Leute sind, die mir das Training geben sollten. Ich laufe dann immer durchs Labor und frage Dinge wie: „Wer ist Tanvir?“, „Wo ist John?“ oder „Wer ist für dieses Gerät verantwortlich?“. Ich hoffe, in vier Wochen habe ich alle Trainings hinter mir.

Immerhin durfte ich heute ganz allein das pH-Meter benutzen und gestern wurde mir doch sogar erlaubt, eine kühlbare Minizentrifuge ohne Training zu benutzen. Doch trotz dieser sehr erfreulichen Erlebnisse hatte der heutige Tag auch seine enttäuschenden Seiten. Ich brauchte für meinen Puffer 6M Schwefelsäure. Aber die musste ich mir erst selbst verdünnen. Dafür sollte ich aus einer Zweieinhalb-Liter-Flasche 18M Schwefelsäure (sehr konzentriert, 95%ig) 10ml in ein winzig kleines Gefäß kippen. Das wollte ich dann doch lieber nicht tun, also fragte ich nach irgendeiner Lösung für dieses Problem. Keiner der Anwesenden wollte jemals Schwefelsäure aus dieser Flasche in diesem Labor benötigt haben. Die Anwesenden waren alle Chemiker. Ich habe mir also eine Pasteurpipette genommen und milliliterweise Schwefelsäure aus der Flasche entnommen. Eine große Glaspipette wäre mir natürlich lieber gewesen, aber Glas ist in diesem Labor eine Seltenheit.

Es gab heute leider noch zwei unerfreuliche Ereignisse. Das Wetter hier schlägt Kapriolen. Wir hatten heute Regen, Schnee, Hagel und Sonnenschein. Dazu kamen heftige Windböen, die dazu führten, dass Bäume umstürzten.

Das zweite negative Ereignis war zum wiederholten Male das Mittagessen.

LoSalt. Salzarmes Salz. Sozusagen Salzstoff, wie Süßstoff. Denn Salz ist ja schlecht (und Kaliumchlorid viel besser!).

Ich hatte Hühnchen süß-sauer mit Reis. Der Reis war nur mit Wasser gekocht. Kein Salz. Das Hühnchen süß-sauer schmeckte nur nach Zucker. Da half auch das LoSalt mit weniger Natriumchlorid — und dafür mehr Kaliumchlorid — nicht mehr. Diese Mahlzeit hätte ich besser ausfallen lassen.

Laboralltag

Ein Pub in Kenilworth

[Maus] Mir hängt dieser Papierkram hier zum Halse raus. Ich dachte noch vor meiner Abreise, wie schön es wird von Bürokratenhausen nach England zu ziehen. Da habe ich mich unglücklicherweise ein wenig verschätzt. Ich muss einen Personalfragebogen, ein Rentenversicherungsformular, mehrere Seiten Bankkontoantragsformulare und zu guter Letzt auch noch einen Haufen Formulare zum Thema Sicherheit ausfüllen. Nicht zu vergessen sind: das Formular, um die National Insurance Number zu beantragen, und das Registrierungsformular für meinen General Practitioner (auf Deutsch: Hausarzt). Das alles will ich bis spätestens Ende nächster Woche hinter mir lassen. Die Chancen stehen gut; die Hälfte ist schon abgearbeitet.

Ich habe jetzt ein britisches Bankkonto. Meine Karten und PINs bekomme ich nach Hause geschickt. Auf meine Anfrage hin, ob ich das alles auch in der Filiale abholen könnte, fragte die Dame von der Bank ganz erschrocken, ob es sich bei der angegebenen Adresse denn nicht um meine private Adresse handeln würde. Sie hatte wohl Angst, dass ich falsche Angaben bezüglich meines Aufenthaltsortes gemacht haben könnte. Nun wird eben ganz persönliche und streng geheime Post auf meinen geteilten Fußabtreter gelegt. Zum Glück ist auf meinem Konto noch kein Geld, so dass es mir momentan wenigstens egal sein kann. Schon merkwürdig, so ganz ohne Briefkasten zu leben.

Die junge Frau, die mich letztens auf dem Unicampus ansprach, entpuppte sich übrigens gestern Morgen als eine meiner Mitbewohnerinnen. Ich bin gemütlich zum Bus getrödelt (beeilen macht hier sowieso keinen Sinn, weil der Bus entweder fährt oder eben nicht), da sehe ich die junge Frau an der Bushaltestelle stehen. Neben ihr eine zweite junge Frau. Als ich bei ihnen bin, werde ich von der Ersten gefragt, ob ich auch in 48 Broadway wohne, was ich bejahte. Tja, und dann stellten sich die beiden als meine Mitbewohnerinnen vor. Der einzige Mann in unserem Haus ist ein älterer Herr, dem ich heute das erste Mal über den Weg gelaufen bin.

Gestern war ich ziemlich spät zu Hause, deswegen gab es auch keinen Eintrag mehr. Ich hatte mich schon am Dienstag mit zwei Kolleginnen verabredet in einen Pub zu gehen. Es hat lange gedauert, bis die beiden sich entschieden hatten, wohin wir gehen aber das letzte Wort hatte dann wohl meine deutsche Kollegin, die nämlich keine Lust hatte, nicht mehr von Coventry aus nach Hause zu kommen. Wir waren also in Kenilworth im Pub (fünf Minuten von dort wohnt meine Kollegin) und wir anderen hatten dann den langen Heimweg.

Der Pub war eigentlich ganz nett, aber es waren (an einem Donnerstagabend) fast alle Tische reserviert. Ein freier Katzentisch hat sich dann aber doch noch gefunden. Die Mädels (eine Spanierin, eine Italienerin und eine Deutsche) wollten sich Wein bestellen, und ich wollte mich gern anschließen. Allerdings wollten sie sich einen Merlot bestellen, der noch nicht einmal der günstigste Wein war. Glücklicherweise konnte ich sie zu einem Cabernet Sauvignon überreden, den wir zu jeweils einem Burger genossen. Der Burger und die dazugehörigen Pommes und Zwiebelringe kamen natürlich wieder besonders salzarm daher. Wann ist mein Überlebenswerkzeug endlich da?

Für den Rückweg mussten wir pünktlich an der Bushaltestelle stehen, denn der Bus fährt um diese Uhrzeit nur noch ein Mal in der Stunde. Die Spanierin, die auch mit uns im Pub war und nach Leamington musste, kam kurz nachdem sie zu ihrer Bushaltestelle gegangen war, wieder zurück, weil ihr Bus schon weg war. Wir hatten Glück und haben unseren Bus trotz italienischer Gelassenheit noch erwischt, dafür habe ich dank nicht angesagter Bushaltestellen und beschlagener Scheiben meine Bushaltestelle verpasst und durfte dann vom Bahnhof Coventry nach Hause marschieren.

Nächste Woche wird es schon viel besser gehen. Ich werde mir einen kuschelige Sofadecke zulegen, damit ich wegen der Kälte nicht mehr schon um 21 Uhr ins Bett muss und der Papierkram ist dann hoffentlich auch erledigt.

Ein Pub in Kenilworth

Überlebenswerkzeug

[Mych] Überlebenswerkzeug für Judiths Mittagspause in der Uni-Cafeteria:

Swiss-Spice Reisegewürzstreuer. Essenzielles Überlebenswerkzeug in der salzarmen englischen Küche.

Salzt die Suppe, nicht die Handtasche. (Und ist sogar wasserdicht!)

Dass Tomatensuppe nach pürierter Tomate und Burger-King-Pommes nach heißer Kartoffel schmecken, ist ja eine gute Sache — aber für unsere ausländischen Gaumen macht eine gute Prise Salz den Geschmack erst rund. (Und, ganz ehrlich: An Pommes gehört Salz.)

DIese Eigenheit der englischen Küche ist auch uns nicht ganz neu. Man muss nur durch den Supermarkt gehen, um zu sehen, wie sich alle möglichen Nahrungsmittelprodukte an Salzarmut gegenseitig zu übertreffen versuchen. Offenbar ist das eine werbewirksame Behauptung. Unklar ist mir allerdings, ob salzarmes Kochen eine alte englische Tradition ist oder erst in der Neuzeit aufkam — und wenn Letzteres, ob das irgendwas mit der kolportierten Expertenmeinung zu tun hat, dass Salzkonsum schlecht für die Gesundheit sei. (Andere Experten sind anderer Meinung. Und am Ende ist es wahrscheinlich einfach sehr viel differenzierter und komplizierter, als eine Volksweisheit es je sein könnte.)

Naja. Mal abwarten, ob ich versuche, meinen Gaumen umzukultivieren oder häufiger mal nachsalze. Blöd nur, dass in der Uni-Cafeteria kein Salzfässchen rumstand, wie sie in den meisten Restaurants in Deutschland auf den Tischen stehen (wo ich sie kaum jemals nutze) — daher obiges Überlebenswerkzeug. Nichts für Ungut, ihr lieben Engländer.

Überlebenswerkzeug